Berlin Gothic 6: Die versteckte Bedeutung (Thriller)
„Meinst du das ernst?“, fragte er schließlich.
Till griff sich mit der Hand an die Nasenwurzel. „Dass dich Nina verlassen hat, deine Probleme beim Schreiben … hast du dich nicht mal gefragt, woran das liegt?“
„Doch, klar.“ Max‘ Augen schimmerten.
„Was du mit dem Mädchen in Riga gemacht hast. Was du daherredest, wenn andere da sind. Was du mit Irina angestellt hast. Gibt dir das nicht zu denken?“
Max rührte sich nicht.
„Als ich gestern früh hierhergekommen bin, warst du vollkommen am Ende, Max. Warum denn?“
Max gab sich einen Ruck. „Ich habe versucht zu schreiben, ich versuche es seit Jahren, aber es hat nicht funktioniert, ich habe es nicht geschafft.“
„Und?“
„Ich komme nicht darüber hinweg.“
„Dass es mit dem Schreiben nicht klappt.“
Max nickte.
„Das Schreiben ist doch nur die Oberfläche, Max. Es ist das, was du gerne könntest. Die wenigsten können schreiben - du gehörst nicht dazu, das ist nicht so schlimm.“
Max senkte den Blick zu Boden.
„Du hast dir selbst eingestehen müssen, dass es mit deiner Schreibkunst nicht weit her ist - das ist nicht schön, kann ich mir vorstellen. Aber … “
„Aber was?“
„Aber was ich dir sage, reicht tiefer. Ich sage nicht, dass du etwas aufgeben musst, was du dir nur eingebildet hast. Ich sage dir, dass du als Mensch kaputt bist. Verkommen. Dass du mich anekelst. Und ich bin dein Freund, verstehst du?“
„Ich … ich ekel - “ Max brachte den Satz nicht zu Ende.
„Du ekelst mich an, Max, ja. Weil du am Ende bist. Das sagst du dir nicht selbst, das sage ich dir. Das ist keine bittere Erkenntnis, die du dir aufzwingen zu müssen glaubst, und mit der du in Wirklichkeit nur kokettierst. Das ist die Wahrheit.“
Max schüttelte den Kopf, zaghaft, zögernd. „Hör zu Till, ich … Es waren ein paar lange Tage, ich … ich brauch vielleicht ein bisschen Ruhe jetzt.“
„Du willst hier in deiner Scheißwohnung sitzen und weiter grübeln. Alleine und ohne dass es irgendetwas gibt, was dich da herausholt. Wird dir bei dem Gedanken daran nicht richtig schlecht?“
„Du hast es nur so gesagt, oder? Wegen Lisa. Damit ich Lisa nichts sage.“
„Du kannst Lisa soviel sagen, wie du willst, Max. Lisa hat dich schon lange aufgegeben.“
„Hat sie nicht.“ Jetzt zitterte seine Oberlippe.
„Frag sie. Sag ihr, was du willst. Und frag sie doch am besten gleich.“ Till griff in seine Tasche nach seinem Handy. „Jetzt gleich, warum nicht!“
Max‘ Augen weiteten sich.
Till hielt ihm das Telefon entgegen. „Ich bin dein ältester Freund, Max, du kannst mir vertrauen. Ich sag dir das, um dir zu helfen. Ich dachte, wir könnten an deinem Text arbeiten. Aber leider ist es ein Haufen Scheiße. Also muss ich dir anders helfen.“
„Indem du mich beschimpfst.“
„Ich beschimpfe dich nicht, Max, ich sage dir die Wahrheit.“
„Und dann gehst du und lässt mich hier sitzen.“
„Du wirst es verkraften.“
„Und wie soll mir das helfen?“
„Du musst dich damit abfinden, Max.“ Er ließ die Hand wieder sinken.
Max hielt den Kopf tief gesenkt, hatte die Augen aber nach oben gerichtet. Till glaubte, ihm ansehen zu können, wie er schwere Schlagseite hatte, wie er sich von dem Schlag nicht mehr erholen würde. „Tust du mir einen Gefallen, Till?“ Max‘ Stimme klang jetzt wieder so, wie sie geklungen hatte, als er ein kleiner Junge war. „Nimmst du zurück, was du eben gesagt hast? Bitte. Kannst du das bitte machen. Sagen, dass es nicht stimmt.“
„Du bist ein Stück Scheiße, Max. Du weißt es. Ich weiß es. Weil es die Wahrheit ist. Dafür kann keiner was. Aber es ist Zeit, dass du dich vor dir selbst ekelst.“ Und damit stand er auf, trat zu Max, der auf dem Sofa sitzen geblieben war, hob den Fuß und platzierte die Sohle seines Schuhs genau auf das Gesicht des jungen Mannes, der einmal sein Freund gewesen war. Dann streckte er das Bein durch.
Till sah, wie Max‘ Lider über seine Augen gepresst wurden, dann drückte er den Körper des anderen in das Sofa, nahm das Bein wieder herunter, wandte sich ab und ging aus dem Zimmer.
BERLIN GOTHIC 6
Epilog
1
Heute
Der Himmel reißt in einer Länge von dreihundert Kilometern auf. Ein Spalt, der sich vom Horizont in der Ferne quer über ihren Kopf hinwegzieht und hinter den Fassaden auf der anderen Straßenseite verschwindet.
Ein Spalt, der zu bluten scheint. Dunkelviolette Blasen. Rosa Tropfen, umlagert von orangen Höfen.
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