Berlin Gothic 7: Gottmaschine (Thriller) (German Edition)
Till nicht mehr, was das eigentlich bedeutet. Hat Felix vielleicht RECHT, wenn er sagt, dass es so etwas wie Schuld gar nicht gibt? Dass jeder so ist, wie er ist, tut, was er tut? War er, Till, mit seiner Ankunft bei den Bentheims zwar die URSACHE für das, was geschehen ist, aber doch nicht SCHULD daran!?
Er blickt hinab, um nicht zu stolpern, und sieht seine Segelschuhe über die Baumwurzeln steigen.
Hat dann aber Felix nicht auch recht , sein Projekt einer Gottmaschine mit allen Mitteln voranzutreiben? Recht damit, Quentins Irrsinn zu benutzen, um seine Maschine zum Laufen zu bringen? Muss er, Till, dann nicht alles daran setzen, um seinen Beitrag - den Felix ja von ihm fordert - dafür zu leisten, dass die Maschine … irgendwann einmal in ferner Zukunft ihr Ziel vielleicht tatsächlich erreicht?
6
Es wirkt, als würde der Wahnsinn, der in Mitte geherrscht hat, von ihnen geradezu abfallen, als Lisa und Betty die Stadtautobahn erreichen. Während sich in der Stadtmitte Autos, Fußgänger, Ampeln, Häuser, Bordsteine, Bäume, Geschäfte, Schilder, Markierungen und die U-Bahnlinien darunter zu einem unentwirrbaren Knäuel verschlungen zu haben schienen, ist die Stadtautobahn beinahe gespenstisch leer.
Ruhig surrt Bettys Wagen über die sechsspurige Fahrbahn Richtung Süden. Schert am Funkturm auf die Avus aus, brummt weiter.
„Stehen die - oder was?“
Lisa hat sich auf dem Beifahrersitz ausgestreckt, folgt jetzt mit dem Blick dem Bettys, der geradeaus gerichtet ist. Ungewöhnlich schnell nähern sie sich einigen Fahrzeugen, die sich weiter vorn auf der Autobahn befinden.
„Sieht ganz so aus.“
Betty drosselt die Geschwindigkeit.
Einige der Autos stehen tatsächlich quer - weiter vorn scheint sich ein Lieferwagen gedreht zu haben.
„Vorsicht!“ Lisa legt ihrer Schwester eine Hand auf den Arm.
Es ist ein Unfall. Gut zwei Dutzend Fahrzeuge sind darin verwickelt, Polizei und Krankenwagen müssen jedoch bereits dagewesen sein, denn am Unfallort ist niemand mehr zu sehen. Verlassen stehen die Autos kreuz und quer auf der Fahrbahn.
„Fahr einfach durch“, murmelt Lisa. Die Wagen, die Stille, die seltsame Leblosigkeit des Unfallorts beunruhigen sie.
Betty kurbelt am Steuerrad, schlängelt ihr Auto an den ersten Fahrzeugen vorbei. Türen stehen offen, es ist Blechschaden entstanden, Öl ist ausgelaufen. Lisas Blick fällt auf ein Steuerrad, an dem etwas Brockliges, Dunkles klebt, als wäre der Kopf des Fahrers beim Aufprall darauf geknallt und aufgeplatzt.
„Hier geht’s nicht weiter.“ Betty nickt durch die Windschutzscheibe nach vorn.
Zwei Fahrzeuge haben sich so ineinandergekeilt, dass sie nicht an ihnen vorbei kommen.
„Sind die wahnsinnig, das nicht abzusperren?“ Lisa setzt sich in ihrem Sitz auf und schaut durchs Beifahrerfenster nach draußen.
Sie haben inmitten der zum Teil schwer beschädigten Fahrzeuge gehalten. Keine zwanzig Meter neben ihnen sind die Bäume des Grunewalds zu sehen, die sich auf beiden Seiten der Avus entlangziehen.
Es klackt - Betty hat ihre Tür aufgestoßen. Lisa fährt herum. „Bleib du am Steuer - ich mach das.“ Sie öffnet ebenfalls ihre Tür und schwingt sich aus dem Wagen.
Es ist sonnig draußen, eine angenehme Wärme, in der sich die Pollen und Düfte des umgebenden Waldes verfangen haben.
Lisa nickt Betty aufmunternd zu, deren Gesicht sie hinter der Windschutzscheibe sehen kann. Dann geht sie zu den beiden PKWs, die ihnen den Weg versperren. Die Tür des BMW, der seinem Vordermann in die Seite gerast ist, ist angelehnt. Lisa zieht sie auf.
Instinktiv schnellt ihr Ellbogen hoch und sie verbirgt ihre Nase in der Armbeuge. Ein Geruch von Desinfektionsmitteln und Eisen schlägt ihr aus dem Inneren des Fahrzeugs entgegen.
„Alles in Ordnung?“
Ohne sich umzusehen, macht Lisa ihrer Schwester ein Zeichen mit der Hand. Ja, ja, alles klar.
Dann holt sie tief Luft, taucht in den Wagen hinein und greift nach dem Steuerrad. Wenn ein Lenkradschloss einrastet, wird es schwierig. Aber Lisa hat Glück. Es steckt zwar kein Zündschlüssel mehr, aber das Steuerrad lässt sich ohne weiteres bewegen. Lisa schlägt es so ein, dass der Wagen auf kürzestem Weg von der Fahrbahn rollen muss, und stemmt sich gegen die Karosserie, um ihn nach hinten zu schieben.
Doch der Wagen rührt sich nicht.
Sie rammt ihre Turnschuhe in den Asphalt - und wuchtet ihren Körper gegen das Auto. Es knirscht - dann beginnt es zu rollen.
Na also!
Mit aller Kraft stemmt Lisa sich
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