Berlin liegt im Osten (German Edition)
flaue Zero-Jahrzehnt, in dem wir wie die Fliegen im Honig träge mit den Beinchen zappelten.
Nach jedem seiner kaufmännischen Fiaskos sackte Schura zusammen, blieb wochenlang zuhause, aß vor dem Fernseher, viel und unschön, lief geräuschlos auf dem grauen Teppichboden wie ein eingesperrtes, aber trotzdem allen überlegenes Raubtier. Um sich zu unterhalten, spielte er mit Marina Dame oder sie schauten
Wer wird Millionär?
im Fernsehen.
Marinchen, sei ein Kumpel, schmier mir eine Stulle, sagte Schura gähnend, und das Mädchen sprang wie ein Grashüpfer zum Kühlschrank. Sie schmierte Brote, schnitt sie in schöne kleine Rauten und brachte sie auf dem Tablett mit einer Bierflasche zum Tisch. An ihren Füßen hatte sie meine Schuhe mit den hohen Absätzen, die hinter ihrer kleinen Ferse gähnten.
Stell dir vor, du wärst in einem Restaurant!, machte sie ein Angebot.
Begnügen Sie sich erst einmal damit, junge Dame?, lächelte Schura und schob Marina etwas Kleingeld in die Rocktasche. – Den Rest schreiben Sie auf meinen Namen an. Bis zu den besseren Zeiten.
Und sie kamen irgendwann, diese besseren Zeiten, nicht gleich, aber immerhin, und die beiden gingen zu zweit zum Kaufhof, wo Marina einen Hunderterschein verschwenden durfte. Mein Habitus hob sich von diesem Hintergrund unvorteilhaft ab – ich war die, die Marinas Schulmappe inspizieren, ihr die Fingernägel schneiden und sie ins Bett jagen musste. Schura war cool, und ich war langweilig.
Seit acht Jahren leben wir schon getrennt, streiten aber immer noch laut und kompromisslos wie ein Ehepaar. Diesmal aber gebe ich, unausgeschlafen und wie betäubt von der gestrigen Nacht, vorzeitig nach:
Du kriegst das Geld, sage ich zu ihm und drehe mich zu Marina: Und du bist dir bitte im Klaren, dass wir es nie zurückkriegen.
Hier merke ich, dass ein flüchtiger Schatten über Schuras Gesicht huscht. Es ist noch nicht Scham, es ist eher so etwas wie leichte Beklommenheit. Nach einer sehr kurzen Weile aber strahlt sein Gesicht vor dankbarer Wonne.
In einem Monat ist das Geld da! Und hier schau mal, der skythische Ring. Er ist sehr, sehr teuer, viel mehr wert als euer Geld! Den überlasse ich euch als Kaution.
Die unterdrückte Wut geht in mir wieder hoch, ich stoße seine Faust grob von mir weg:
Verschwinde, ich kann dich nicht mehr ertragen! Ein Versager bist du! Du warst und bleibst ein Loser!, schreie ich und versiegle mir mit der Handfläche gleich den Mund vor Schreck – zwar haben wir uns öfter beim Streiten am Kragen genommen, so weit war ich jedoch nie gegangen. Es war ein Tabu, ein Schlag unter die Gürtellinie, etwa so, wie wenn man einen Behinderten als Krüppel beschimpfen würde.
Gut, ich bin ein Versager. Aber ich habe mindestens etwas versucht! Und ich versuche es immer noch! Und was sind deine Heldentaten, Medea? Morsche Ärsche abwischen? Ein alter Waschlappen bist du! Kein Wunder, dass du immer noch allein bist!
Falsch geraten! Ich bin mit einem anderen Mann zusammen, er ist schön, er ist Arzt und wir sind glücklich zusammen!, schreie ich gegen die geschlossene Tür, die, von Schuras Hand zugeknallt, vor Zorn immer noch zittert.
Wie, du hast diesen Mann angesprochen und zu einem Spaziergang eingeladen? – Marina stemmt die Ellenbogen gegen den Tisch und schaut mich, das Gesicht mit den Handflächen umfasst, prüfend an. – Und er?
Er war einverstanden.
Einverstanden oder froh?
Ich weiß es nicht, wir waren alle etwas aufgewühlt, wegen dieses Unfalls.
Und er, dieser Roman, hat den Fahrradfahrer gerettet?
Das weiß ich nicht, jedenfalls wusste er genau, was zu tun ist, und er hat es getan.
Wie sieht er denn aus?
Nett, schön sogar, würde ich sagen. Braunes Haar, die Augen schienen mir damals im Winter grau, und nun waren sie grün, vielleicht wegen des T-Shirts. Breite Augenbrauen, weißt du, solche, die seitlich stark abnehmen, wie Keile.
Und ihr seid zwei Stunden lang durch Berlin Mitte gelaufen? Und worüber habt ihr gesprochen?
Über Berlin, er wohnt erst seit diesem Winter hier. Dann auch über seine Arbeit in der Charité. Er macht da Anästhesie.
Was hast du über dich erzählt?
Na so, wie es ist – geschieden, im Sozialsektor tätig.
Dass du Altenpflegerin bist? – Inzwischen bereitet Marina uns Frühstück, in besonders wichtigen Momenten, wie jetzt, setzt sie sich kurz zum Tisch und schaut mir in die Augen.
Aber natürlich! Ist das etwa peinlich? Roman, übrigens, ist der Meinung, es sei ein toller Beruf, der
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