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Berlin liegt im Osten (German Edition)

Berlin liegt im Osten (German Edition)

Titel: Berlin liegt im Osten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nellja Veremej
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für Schura versehe ich mit schriftlichen Grüßen und einem enthusiastischen Ausrufezeichen. Dann kaufe ich eine kleine hübsche Torte und besuche meine Nachbarin Elisabeth, die uns nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus offensichtlich meidet. Nun gehe ich in die Offensive, grüße sie laut und schaue ihr dabei in die Augen, bis sie leicht den Kopf schüttelt. Mit der Torte in der Hand finde ich die richtigen Worte, um sie zum Lächeln zu bringen. Nur für Ulf Seitz finde ich erstaunlicherweise in meinem Übermenschenherz keine passenden Sätze und lege auf, kaum dass ich seine unsichere Stimme im Hörer erkannt habe. Ich habe inzwischen meine Stunden bei ihm an Heidi abgetreten, dafür aber meine halbe Stelle im Seniorenheim zu einer vollen aufgestockt. Vorm Eingang des Seniorenheims bleibe ich stehen, von enthusiastischen Kommentaren zum heutigen sonnigen Tag überschüttet.
    Wahrhaftig schön!, tschilpe ich mit verstellter Stimme in Richtung der Eheleute Krause. Diese schicken sich gerade zu ihrer täglichen Promenade an. Sie, groß und weich, sitzt im Rollstuhl mit einem langen braunen Zigarillo im Mund, er, dürr und sehnig, steht daneben, servil gebeugt hält er das Feuer für sie parat. Der Daumen von Herrn Krause, dem Nichtraucher, ist fast genauso braun wie die Zigarillos seiner Frau, die selten schon beim ersten Versuch Feuer fangen. Es klappt auch diesmal nicht gleich, und Frau Krause wird weiß vor Wut. Von der direkten Sonne für ein Moment geblendet, sehe ich vor meinem inneren Auge einen massiven Drachenschwanz, wie dieser raschelnd hinter dem Rollstuhl bebt, und ein Paar durchsichtige, zahm zusammengelegte Flügel auf dem gebeugten Rücken von Herrn Krause.
    Vom hellen Tag verschärft, wird die ewige Dämmerung im hallenden Foyer zur Finsternis, trotz des rötlichen, kaum bemerkbaren Schimmerns fahler Lichter an der niedrigen Decke.
    Den Arbeitstag lasse ich leicht über mich ergehen, vor Ungeduld aber verwechsle ich oft die Zimmer und Namen meiner Alten. Besonders an solchen hellen Tagen zähle ich die Minuten bis zum Feierabend oder mindestens bis zur Pause, in der ich mit Maria über Roman reden kann.
    Ja, Arzt, und?, schnalzt sie mit der Zunge. – Dich hat man auch nicht auf der Müllhalde gefunden! Du bist auch eine Akademikerin, belesen, intelligent, nett – was braucht man mehr? Ärzte! Ich habe neulich auf einer Party so einen kennengelernt – wichtig wie ein Pfau! Dann zeigte sich, dass dieser Hippokrates Brüste vergrößert und Fett absaugt und dafür Geld mit der Sense erntet!
    Was hat das mit Roman zu tun? – Ich bin fast beleidigt. – Er ist völlig in Ordnung und total nett!
    Ja, ja! Ich wollte dich nur stärken, weil du beinahe ehrfürchtig über ihn redest! Sei locker und entspannt, dann kommt ihr euch vielleicht endlich näher.
    Ich glaube, es liegt nicht an mir. – Ich zünde mir die zweite Zigarette an der ersten an. – Obwohl ich spüre, dass er mich mag.
    Vielleicht ist er ein Katholik oder ein Adventist, na so etwas in die Richtung?
    Spinnst du? Er ist ein großer Atheist – westlich, nüchtern, modern! Marina meint, er könnte in einer anderen Beziehung sein, die er nicht gleich kündigen kann, oder er ist gerade unentschlossen. Jedenfalls sagt sie, ich soll nichts forcieren, erst einmal abwarten.
    Und mehr Selbstbewusstsein!, befiehlt mir Maria. – Er steht dir gut, dein Roman! Die Haare glänzen, die Augen strahlen – weiter so!
    Kaum ist meine Schicht zu Ende, fliehe ich von der Titanic der Sterblichen und springe in die gelbe Straßenbahn – heute ist Freitag!
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: Lieber Roman, tippe ich. In der Torstraße verlangsamt die Straßenbahn plötzlich ihre Fahrt, ich schaue durchs Fenster und sehe durch die schwarz umrahmte Glasscheibe Ulf Seitz.
    Vor dem Waschsalon reihen sich die runden einbeinigen Tische, Ulf sitzt in seinem Rollstuhl an der rechten Flanke und starrt in die kriechende Straßenbahn, zu mir her. Was macht er da, zwischen den Menschen, die keine eigene Waschmaschine besitzen? Was macht seine Figur so erbärmlich? Der Pappbecher
to go
, was er eigentlich hasst? Die schwarzen fingerlosen Handschuhe, die ich ihm nie zumuten würde? Zu dieser Jahreszeit? Mein Kopf wird auf einmal mit Bildern gefüllt, wie ich meinem neuen Freund Ulfs Berlin-Ecken präsentiere – peinlich, als würde ich zu Ulfs Musik mit einem anderen Mann tanzen oder flirten. Der Handy-Pieps aber verjagt die Gewissensbisse:

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