Berlin liegt im Osten (German Edition)
zweit oder zu dritt auf ihre Schnitzel warteten, sich Bier in den Hals gossen und sich mit den Gabeln Fleischstücke in die Münder steckten.
Als wir in die Mulackstraße abbiegen, spüre ich Regentropfen im Gesicht. Sie sind noch schwach und selten, aber ein entferntes Grollen und ein kurzer Blitz am schwarzen Himmel versprechen mehr.
Ich habe einen Regenschirm dabei, soll ich dich nach Hause begleiten? Du wohnst doch hier in der Nähe? – Ich wühle in meiner großen Umhängetasche.
Gleich hier um Ecke. Wir können zu mir hochgehen und etwas trinken. Denn – er streckt die Handflächen vor sich aus – es wird gleich losgehen!
Und in der Tat – der heftige Wind, plötzlich kalt und nass, peitscht uns in den Rücken und dreht das blasse Laub um. Plötzlich schweife ich in Gedanken ab zu einem ähnlichen Abend, der sich exakt vor einem halben Leben ereignete, kurz vor dem damaligen Weltuntergang. Der tote Welpe Flaumi im Schuhkarton, der alte Friedhof und die heftigen Windzüge, wie sie die Welt kurz aus dem Tritt brachten.
Der Schirm öffnet sich über unseren Köpfen mit einem heftigen Knall, und wir rücken näher zusammen. Damit ich nicht von den Windstößen fortgetragen werde, legt Roman den Arm um meine Schulter.
Es ist ein Neubauhaus, streng, mit großen Fenstern, wie man sie eher in einem Büro vermuten würde. Roman wohnt im zweiten Stock. Aus dem Korridor, wo sich um unsere Schuhe gleich eine Pfütze bildet, gelangen wir in ein Wohnzimmer. Breite, matte Holzdielen, nackte Fenster, helle Regale an der Wand, eine dunkle, untersetzte Couch in der Mitte, wo ich auf Romans Empfehlung lande. Diese urbane, großzügig minimalistische Art des Wohnens wird noch durch die offene Kochnische betont, in deren Nähe sich auch der Esstisch befindet. Zu den anderen Zimmern führt ein kleiner Durchgang, wo Roman gleich verschwindet, um sich trockene Socken anzuziehen.
Ich beschließe, meine nassen Schuhe doch anzubehalten, und als ich einen Rundgang durch das Zimmer mache, knallen die Absätze laut gegen die Dielen. Das Fenster, durch die Balkontür zusätzlich vergrößert, schaut zum Hof. Draußen raschelt der Regen. Ein Teller voller Krümel, ein Messer mit einem Löffel (gekreuzte Klingen), eine leere Kaffeetasse – das Wappen eines einsamen Morgens auf dem hölzernen Tisch. Vor dem Bücherregal bleibe ich länger stehen: Reiseführer, Ausstellungskataloge. Medizinische Fachliteratur, Kochbücher. Ich nehme einen Band heraus, der vom Gebrauch wie aufgedunsen aussieht. ‚Emotionale Intelligenz oder die Kunst, respektiert und beliebt zu sein‘.
Liest du keine Gedichte oder Romane?, sage ich laut, mein Gastgeber aber steht schon neben mir.
Selten, nur wenn ich muss. – Er fasst mich am Arm. – Komm, wir trinken was.
Zeigst du mir die Wohnung?
Gerne! Komm mit! Hier das Bad, hier mein kleines Arbeitszimmer.
Und hier? Das Gästezimmer?
Nein. Das Zimmer meiner Frau, lacht Roman.
Im Ernst?
Na klar!
Und hier?
Und hier ist das Schlafzimmer. – Roman geht hinein und macht die Stehlampe an. Um das niedrige, bodennahe Bett liegen auf dem Teppich aufgeschlagene Bücher, Küchenpapier, lang ausgerollt, ein leeres Trinkglas. Zwei Stühle sind unter Hemden und Hosen kaum sichtbar. Bunte Merkblätter sind über dem Betthaupt an die weiße Tapete genagelt. Irgendwie passt das unaufgeräumte Zimmer nicht in diese nüchterne, perfekte Wohnung.
Sieht furchtbar aus, verzeih bitte. – Roman verschiebt einen Hebel am Fuß der Stehlampe, und das Licht nimmt ab, geht aber nicht ganz aus. Es folgt eine Pause, draußen schlagen Regentropfen heftig gegen das Fensterblech. Flüssig gewordene Stadtlichter überströmen die Glasscheibe.
Diesmal schlinge ich meine Hand um Roman, und während wir uns küssen, tue ich das, wonach ich mich die letzten Stunden so innig gesehnt habe: Ich streife mir die engen Pumps ab. Neben meinen umgekippten Schuhen landen, schwer zusammengesackt, Romans Jeans, über die wir, von der aufgestauten Begierde gesteuert, mehrmals stolpern.
In diesem trügerischen, unsicheren Halbdunkel geht die Realität in Brüche, und ihre einzelnen Fragmente werden in meinem Kopf nie zu einem ganzen Bild zusammenwachsen. Romans gespreizte Handfläche, gegen das Kopfkissen gestemmt. Seine hastigen Finger, wie sie das lebendig gewordene Handy totstellen. Weiße Hautstreifen an seinen gut gebräunten Hüften. Die leichte Daunendecke, wie sie wolkenhaft neben dem Bett landet. Das leere Trinkglas, umgekippt, rollt
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