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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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ätherischen Wesen wie ihr pulste das Leben zu schwach, um sich selbst zu vernichten. Eines Tages, unmerklich und gewaltlos, hätte das Blut in ihr zu fließen aufgehört. Nicht durch einen Schuß oder
Messerstich. Auf den Blättern, die über den Schreibtisch verstreut lagen, hatte sich die Tinte mit dem Blut zu einer schwarzrot marmorierten Fläche verbunden. Auch die vergilbten Seiten eines aufgeschlagenen Aristoteles-Bandes waren blutdurchtränkt. Es waren nur noch die Zeilenanfänge »Jede Kunst und – irgendein Gut – alles strebt« zu lesen.
    Anja entdeckte die halbleere Whiskyflasche und das Glas, die neben dem Anrufbeantworter standen. Johnnie Walker, Red Label. Sie hatte gar nicht gewußt, daß Rebecca getrunken hatte. Das kleine rote Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte, zwei Anrufe waren registriert. Anja schraubte die Whiskyflasche auf, nahm einen Schluck und stellte die Flasche zurück.
    Nach kurzem Zögern drückte sie die oberste Taste des Anrufbeantworters, das kleine Tonband spulte zurück, dann erklang eine tiefe, gepreßte Stimme. »Frau Lux, gehen Sie ran. Ich muß mit Ihnen reden. Es ist wich – «
    An dieser Stelle brach die Aufzeichnung ab. Offensichtlich hatte Rebecca den Hörer abgenommen. Anja war sich nahezu sicher, die Stimme nicht zu kennen, sie konnte nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob es eine Männer- oder eine Frauenstimme war. Sie spulte das Tonband noch einmal zurück. Vico jaulte auf, als die Stimme zum zweiten Mal erklang.
    »Frau Lux, gehen Sie ran. Ich muß mit Ihnen reden. Es ist wich – «
    Anja fragte sich, ob der Anruf etwas mit Rebeccas Tod zu tun hatte. Während sie aufstand, ertönte hinter ihr eine zweite, tiefe Stimme. »Rebecca, ich bin’s. Ich wollte mich nur mal erkundigen, wie’s dir heute geht. Ruf mich doch nachher an, ich bin den ganzen Nachmittag
zu Hause.« Nach dem kurzen Knacken am Ende der Aufzeichnung herrschte im Zimmer wieder völlige Stille. Anja drückte die Löschtaste. Das rote Lämpchen hörte auf zu blinken.
    Jetzt erst merkte Anja, daß sich eine schmale Goldkette um die Finger ihrer linken Hand gewickelt hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann und wie sie dorthin gekommen war. Anja ließ die Kette mit dem goldenen Münzanhänger vor ihrer Nase pendeln. Sie war das einzige Schmuckstück gewesen, das Rebecca stets getragen hatte. Sicher ein Geschenk ihres Vaters.
    Eine Weile verfolgte Anja die gleichmäßigen Bewegungen der Münze. Rechts. Links. Rechts. Links. Sie begann, in dem schmalen Zimmer auf und ab zu gehen. Neun Schritte hin. Neun Schritte zurück. Sie betrachtete erneut die Stiche an den Wänden, verfolgte die rostroten Linien auf dem gelblichen Papier, ohne wahrzunehmen, was sie darstellten. Sie betrachtete das Portrait von Rebeccas Vater, verlor sich in den Falten seiner Reptilienhaut. Sie fuhr mit einer Hand an den Buchrücken in den Regalen entlang. Es half nichts. Der Sog, den der schwarz gekleidete Körper neben ihr ausübte, war stärker als je zuvor.
    Anja trat von hinten an Rebeccas Stuhl. Vorsichtig strich sie mit ihren Händen über den gekrümmten Rükken, Millimeter für Millimeter, hinauf zu den Schultern. Ihre Finger erzeugten auf dem Seidenstoff ein leises, schleifendes Geräusch. Behutsam hob sie den todesschweren Oberkörper von der Schreibtischplatte und setzte ihn an die Stuhllehne zurück. Unter der linken Brust steckte ein Dolch oder Messer. Nur der Griff ragte heraus, es war die flache Skulptur einer antiken Göttin.

    Anja ließ ihre Hände langsam an Rebecca hinabgleiten, während sie sich zu dem schneeweißen Gesicht hinunterbeugte. Die dunklen, fast schwarzen Augen waren aufgerissen, der Mund leicht geöffnet, ein dünner, eingetrockneter Blutfaden lief aus dem rechten Mundwinkel. Anja schloß die Augen. Rebeccas Lippen fühlten sich kalt und trocken an wie Papier. Anja schmeckte Blut, als sie die Zunge berührte, die leblos hart zwischen den unteren Zähnen ruhte.
    Im Hausflur wurden Stimmen und Schritte laut, Frau Krause hatte offensichtlich die Polizei gerufen. Anja tippte mit ihrer Zungenspitze ein letztes Mal an die versteinerte Gaumenhöhle, dann richtete sie sich auf. Rebeccas Lippen glänzten feucht.
     
    Als Kriminalhauptkommissar Glombitza, eskortiert von Schulze und der immer noch hysterisch aufschluchzenden Frau Krause, wenige Augenblicke später das Zimmer betrat, saß Anja wieder auf dem Stuhl neben dem Schreibtisch.
    »Was, Sie schon wieder?«
    Anja blieb sitzen und schaute zu

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