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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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stören. Ich wollte nur fragen, ob du morgen abend ins ›Moskau‹ gehst.«
    »Weiß noch nicht, bei mir gibt’s zur Zeit so das eine oder andere Durcheinander.«
    Einen Moment herrschte in der Leitung vorwurfsvolles Schweigen. »Anja, du hast dich doch nicht etwa verliebt?«
    Susanna und Anja hatten sich vor acht Jahren bei den Philosophen in einem Seminar über das Problem
der Willensschwäche kennengelernt. Auf Susannas Seite war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Anja hatte mehrere Blicke gebraucht, um mit der zierlichen Blonden, die damals zwischen Platon und Adorno von einer Karriere als Primadonna geträumt hatte, etwas anfangen zu können. Vor sechs Jahren, beim neunten Anlauf, hatte Susanna dann ihren heißersehnten Studienplatz für Solo-Gesang an der »Hochschule der Künste« in Berlin erhalten und damit ihre weitere Geistesausbildung zugunsten des Kehlkopf- und Stimmbandtrainings aufgegeben. Bis an die Mailänder Scala hatte die Singerei Susanna zwar nicht gebracht, aber dafür war sie seit einem Jahr bei der Neuköllner Oper als Soubrette unter Vertrag.
    Temperament und Profession entsprechend hatte Susanna Anja von Anfang an mit mehr oder minder gut inszenierten Eifersuchtsszenen unterhalten. Aber im Augenblick legte Anja keinen gesteigerten Wert auf melodramatische Ausbrüche am anderen Ende der Telefonleitung.
    »Aber nein, Schätzchen, du weißt doch, dich würde ich als erste informieren, sollte ich mich je wieder verlieben. «
    »Was ist dann los?«
    Anja hatte keine Lust, ihrer inquisitorischen Freundin etwas von der Geschichte mit Rebecca zu erzählen. »Ach, eigentlich nur das übliche Chaos – vielleicht ein bißchen dicker als sonst. Ärger mit der Praxis, trouble mit Ulf, Hektor braucht ’nen Ölwechsel, na ja, du kennst ja mein Leben.«
    Susanna war noch nicht restlos beruhigt. »Sonst nichts?«
    »Glaub mir, es ist im Grunde wirklich alles in Ordnung.
Ich schau, daß ich es morgen schaffe, ins ›Moskau‹ zu kommen, dann können wir zwei endlich mal wieder einen netten Abend miteinander verbringen.«
    »Du kommst? Sicher?«
    Anja stöhnte innerlich auf. »Is’ zehn Uhr okay?«
    »Na gut, dann bis morgen.«
    »Ich freu mich, Schätzchen!« Entnervt knallte Anja den Hörer auf. Was das Telefon ihr übelnahm. Mit einem süffisant trockenen Knacken ließ es seine Wählscheibe auf den Boden fallen. Fluchend hob Anja die Plastikscheibe wieder auf und hielt sie an ihre angestammte Stelle. So wie es aussah, war da vorläufig nichts zu retten.
    Muffig beugte sich Anja wieder über ihre Spülbrühe. Eigentlich war ihr die letzte Lust vergangen, das Geschirr fertig zu spülen. Sie fragte sich, ob man mit dem Telefon wenigstens noch angerufen werden konnte.
     
    Um kurz vor halb zwei hatte sich Anja zu den besonders ekligen Tellern der unteren Schichten durchgekämpft. Verkrustete Speckwürfel mit blau-grüner Patina, angetrocknete Spaghetti und festklebendes Eigelb ließen sie auf Carbonara schließen. Sie stieß mit einem Messer nach den zementharten Essensresten. Was diesmal der Teller ihr übelnahm. Er brach entzwei. Wütend schmiß Anja die Spülstahlwolle ins Wasser und leckte sich ihren linken Handballen. Es war zwar nur ein flacher Schnitt, aber trotzdem: jetzt hatte sie die Schnauze endgültig voll. Sie wollte wissen, was mit Rebecca los war.

TRANSZENDENZ
    Rebeccas schwarzseidener Rücken schimmerte schwach in dem spärlichen Licht, das durch die zugezogenen Samtvorhänge ihres Arbeitszimmers fiel. Sie saß an dem Nußholzschreibtisch, ihr Oberkörper und der rechte Arm waren auf die Tischplatte gesunken, der linke Arm hing schlaff herab. Frau Krause, die Nachbarin, die Anja Rebeccas Haustür aufgeschlossen hatte, stieß einen gellenden Schrei aus, schlug die Hand vor den Mund und rannte aus dem Zimmer.
    Anja trat näher an den Schreibtisch. Die Bücher und Papiere auf ihm waren blutdurchtränkt, eine kleine, goldene Pendeluhr war umgefallen, das Glasgehäuse zerbrochen. Anja setzte sich auf den zweiten Stuhl, der neben dem Schreibtisch stand. Vico kauerte leise wimmernd zu Rebeccas Füßen. Ansonsten herrschte im ganzen Haus pelzige Stille.
    Anjas Blick irrte über die Wand mit den deckenhohen Bücherregalen. Nun hatte sich Rebecca also endgültig in ihr Element zurückgezogen. Vielleicht fünftausend Seiten Papier würden von ihr übrigbleiben. Ohne es zu merken, starrte Anja die alten Kupferstiche an.
    Sie konnte nicht glauben, daß Rebecca sich selbst ermordet hatte. In

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