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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Erschütterung vom Tisch gefallen. Rebecca hob ihn auf. Als Kind hatte sie oft neben dem Schreibtisch ihres Vaters gestanden, wenn er mit diesem schweren Briefmesser die Seiten alter Folianten aufgeschnitten hatte. Sie war immer stolz gewesen, wenn er sie dann »meine kleine Athena« genannt hatte. Mit sieben konnte sie große Teile der Ilias und Odyssee auswendig, war mit den griechischen Göttern vertraut wie andere Kinder mit Rotkäppchen und den sieben Geißlein. Es hatte für sie unverrückbar festgestanden: Sie wollte Athene sein, die mutterlose Göttin des Krieges und der Weisheit.
    Vicos Schnarchen holte Rebecca aus ihren Erinnerungen zurück. Sie hätte jetzt gern eine Zigarette geraucht, aber aus Rücksicht auf Vico hatte sie sich das Rauchen im Haus abgewöhnt.
    Rebecca fürchtete, daß es mit dem Armen bald zu Ende gehen würde. In letzter Zeit schlief er fast nur noch, zu seinen früher geliebten nächtlichen Seespaziergängen war er kaum noch zu bewegen. Außerdem hatten seine Sinneswahrnehmungen erheblich nachgelassen,
er roch nichts mehr und hören tat er ebenfalls immer weniger.
    Rebecca stand vom Schreibtisch auf und ging zu dem antiken Sekretär, um sich einen Whisky einzuschenken. Ihr Vater hätte es sicherlich verurteilt, daß in seinem Sekretär Alkoholisches aufbewahrt wurde. Er hatte nie getrunken.
    Sie schraubte die Flasche auf und goß das Glas, das sie ebenfalls aus dem Sekretär geholt hatte, halb voll. Was sollte sie morgen Anja sagen? Die nüchterne, pragmatische Anja würde sie nicht verstehen. Und strenggenommen war es auch völlig irrational, daß sie sich Vorwürfe machte. Jetzt noch mehr als damals. Sie wußte ja nicht einmal, ob nicht einfach die Phantasie mit ihr durchging und sie hier zwei Ereignisse zusammenbrachte, die in Wirklichkeit nichts miteinander zu tun hatten.
    Rebecca nahm das Whiskyglas in die Hand und begann, im langgestreckten Zimmer auf und ab zu gehen, an einigen Stellen knirschte das Parkett. Sie lauschte dem punktierten Rhythmus ihrer Schritte.
    Schließlich lag die Geschichte bereits einige Zeit zurück, und außerdem war ein Philosophisches Institut eben keine Wohlfahrtseinrichtung. Sie glaubte nicht, daß sie sich besonders grausam verhalten hatte. Und dennoch: seit Montag nagte etwas hinter ihrer Stirn, das sich mit vernünftigen Gedanken nicht beruhigen ließ.
    Rebecca nahm einen großen Schluck aus dem Glas und starrte in die regnerische Herbstnacht. Kleine Bäche liefen an den Scheiben hinab und verloren sich auf dem Fensterbrett.
    Sie griff zu Telefon und Telefonbuch. Den Namen
hatte sie nicht vergessen. Sie mußte wissen, ob sie sich auf ihre Instinkte noch verlassen konnte oder ob auch sie schon dabei war, wahnsinnig zu werden.
    Die Wählscheibe drehte sich unter ihrem Finger mit leichtem Quietschen. Nach einer Ewigkeit aus Freizeichen wurde der Hörer am anderen Ende der Leitung abgehoben.
    »Ja?«
    Rebecca klammerte sich fester an ihr leeres Glas. Sie erkannte die Stimme sofort wieder.
    »Ja? Hallo!«
    »Sie haben Schreiner umgebracht.«
    Eine Zeitlang war nur das Surren und Knistern der Telefondrähte zu hören. Schließlich erklang ein trockenes »Gratuliere, Frau Professor!«
    Rebecca ließ den Hörer fallen. Wie ein Gehenkter kreiselte er knapp über dem Fußboden. Rauhes Lachen erfüllte den Raum.

IN DEN NETZEN DER LEBENSWELT
    Es war kurz nach zehn, als Anja aufwachte. Verschlafen blinzelte sie an die von Wasserflecken gezeichnete Zimmerdecke und fragte sich, was nicht stimmte. Das Telefon verriet es ihr. Sie war seit zwei Morgenden zum ersten Mal wieder nicht von ihm geweckt worden.
    Anja drehte sich um, eigentlich gab es keinen Grund aufzustehen, sie mußte keine Leichen inspizieren, sich nicht mit der Polizei rumschlagen, und arbeiten mußte sie auch nicht. Das Zimmer war in einem Zustand, der die Lust auf unnötiges Aufstehen nicht unbedingt erhöhte. Sie fiel in ihre wirren Träume von schwarz gekleideten Gestalten zurück. Sie lief an einem ganzen Regiment schwarzer Rücken entlang. Immer weiter. Endlos.
    Gegen zwölf Uhr wachte Anja das nächste Mal davon auf, daß das Telefon immer noch nicht geklingelt hatte. Irgendwie kam es ihr langsam sonderbar vor, daß Rebecca nichts von sich hören ließ. Vielleicht dachte sie nur, Anja würde noch schlafen, und wollte sie nicht schon wieder wecken.
    Anja schälte sich aus den Decken und tappte in die Küche, wo lauwarmer Kaffee auf dem Herd stand. Ulf war anscheinend bereits auf. Gebadet hatte

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