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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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hatte sie das »Bovril« betreten. Ein Kellner mit französischem Akzent und langer weißer Schürze war beflissen auf sie zugeeilt, um sie zu fragen, ob sie mit ’errn Doktor Stamm’eimer verabredet sei, dieser habe nämlich soeben angerufen und mitgeteilt, daß er es zutiefst bedauere, sich um eine halbe Stunde verspäten zu müssen.
    Anja hatte sich somit alleine an den reservierten Tisch gesetzt und schon einmal eine Flasche einundneunziger »Meursault AOC — Clos du Cromin« zu achtundneunzig Mark bestellt. Eigentlich hätte sie ja später auf Stammheimers Rechnung lieber den vierundachtziger »Château Lafitte-Rothschild AOC, Premier Grand Cru Classé« zu einhundertachtundsiebzig Mark gesehen, aber so viel wußte Anja von Eßkultur, daß man zu Fisch keinen Rotwein trank, und mit dem Weißwein hatte sie die Weichen für den Hummer und die Seezunge gestellt.
    Anja hatte den Ärger eines vergeudeten Tages mit der Flasche weißen Burgunder bereits nahezu heruntergespült, als Manfred Stammheimer um kurz nach halb neun durch die Schwingtüren des Restaurants trat. Er entdeckte Anja in dem hinteren Raum und eilte mit großen, elastischen Schritten auf sie zu.
»Entschuldigen Sie tausendmal die Verspätung, Frau Abakowitz, aber ich bin heute erst aus Westdeutschland zurückgekommen, und wir haben im Gericht zur Zeit einen etwas heiklen Fall. Ich mußte in dieser Angelegenheit noch dringend mit einem Kollegen sprechen. Ich hoffe, Sie haben nicht allzu lange gewartet.«
    Mit einem leicht unterkühlten Lächeln streckte Anja dem Juristen die Hand zur Begrüßung hin. »Nun ja, ich sitze hier seit acht.«
    Stammheimer ließ sich von dem französischen Kellner seinen dunkelgrauen Kaschmirmantel abnehmen und setzte sich Anja gegenüber. »Wie ich sehe, haben Sie schon einmal den Wein für uns ausgesucht.« Der Richter drehte die Flasche mit dem Etikett zu sich. »Einundneunziger Meursault — doch, eine gute Wahl.«
    Zum Beweis ihrer guten Wahl nahm Anja einen kräftigen Schluck aus dem inzwischen rundum mit Lippenstift verschmierten Weinglas. Die Tussi-Allüre, mit spitzem Mund immer nur an derselben Stelle des Glases zu nippen, konnte und wollte sie sich nicht angewöhnen.
    Der Kellner kehrte mit den Speisekarten und einem weiteren Glas wieder. Anja brauchte in der ohnehin nicht besonders reichhaltigen Karte nicht lange zu suchen. Immer, wenn sie sich hierher einladen ließ und wenn es diese Gerichte gerade gab, aß sie Hummer und Seezunge.
    »Aufgrund des Weißweins schließe ich einmal, daß Sie Fisch essen wollen, Frau Abakowitz?«
    Anja nickte.
    »Ja, die Fischgerichte sind hier auch immer besser als die Fleischgerichte. Ich denke, ich werde mich Ihnen anschließen.«

    Mit einer angedeuteten, steifen Verbeugung nahm der französische Kellner die Bestellung des Essens und eines neuen »Meursault« entgegen.
    Stammheimer goß sich den Rest der ersten Flasche in sein Weinglas. »So, dann lassen Sie uns doch erst einmal anstoßen. Auf Ihr Wohl!«
    Anja unternahm keine größere Anstrengung, das Glas vorsichtig am Stiel zu balancieren, sondern griff es am Kelch, so daß die beiden Gläser beim Zusammenstoßen einen eher dumpfen Klang von sich gaben.
    »Hat sich in der Angelegenheit mit Ihrer Philosophieprofessorin irgend etwas Neues ergeben?« Der Jurist lächelte Anja über sein Weinglas hinweg an.
    Anja ignorierte sein Lächeln und fegte einige Brotkrümel von der weißen Tischdecke. »Lesen Sie keine Zeitung?«
    »Zumindest die Berliner Zeitungen lese ich nur, wenn ich muß. Und bis zur Frankfurter Allgemeinen hat sich der Fall noch nicht herumgesprochen.«
    Mit spitzem Fingernagel halbierte Anja einen hellbraunen Krumen Weißbrotkruste. »Rebecca Lux ist tot.«
    Stammheimer stellte das Weinglas, das er gerade zum Trinken angesetzt hatte, wieder ab. »Das tut mir leid. Sie haben sie sehr geschätzt?«
    Anja antwortete mit einem vagen Schulterzucken. Was sollte sie Stammheimer schon erzählen. Ein wachsgesichtiger Kellner servierte die beiden halben »Hummer aus dem Atlantik gratiniert«.
    Stammheimer breitete die Damastserviette auf seinem Schoß aus. »Nun, erst einmal guten Appetit.« Mit einer energischen Bewegung stieß er seine Gabel durch
den kleinen Gratinberg in das weiße Fleisch. Anja begann, den Gratinberg von der Schwanzspitze des Hummers her abzutragen. »Die Polizei nimmt an, Rebecca Lux habe Selbstmord begangen.«
    »Sie sagen das in einem Ton, als ob Sie nicht daran glaubten. — Der Hummer ist

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