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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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»Südstern« mußte sich ein Unfall ereignet haben. Anja drosselte das Tempo und bemühte sich, möglichst unauffällig auf die rechte Spur zu fahren. Auf eine Alkoholkontrolle legte sie im Augenblick keinen übersteigerten Wert. Im Schrittempo ließ sie Hektor an einer Wanne und zwei ineinander verkeilten Kleinwagen vorbeischleichen. Erst hinter der bulligen Backsteinkirche gab sie wieder Gas.
    Auf Radio Fritz lief der »Blue Moon«. Ein nächtlicher Hörer plauderte aus seinem Leben: »Ick hab’ früher ’ne Maxime jehabt, die nich’ jeht.«
    »Ach.«
    »Ick wollte mit jedem Menschen jut auskommen.«
    »Und jetzt haste dich voll uff’s Einkommen konzentriert oder wat?«
    »Ah nee, aber det war janz wesentlich falsch. Da machste dich zur Feife«
    »Is’ wirklich deine Lebenserfahrung?«
    »Dit is’ meine Lebenserfahrung.«
    »Kannste dit noch annem Beispiel plastisch machen, wo dir dit dann zum ersten Mal klarjeworden is?«
    Anja stellte das Radio ab und öffnete mittels des elektrischen Hebers das Fahrerfenster. Auf der Sonnenallee wankte ein Besoffener über die Straße, um sich am nächsten Laternenpfahl auszukotzen. Während
sie an einer roten Ampel stand, verfolgte sie die gekrümmte Gestalt im Rückspiegel. Stammheimers Enthüllungen zu Hektors Kaution waren eine Hiobsbotschaft. Sie fragte sich, wie lange der Penner hinter ihr noch kotzen wollte. Andererseits waren fünfzigtausend Mark ein sehr unsentimentaler Grund, Maier-Abendroth sich nun endgültig vorzuknöpfen.
    Die Ampel hatte mittlerweile auf grün geschaltet, und Anja startete. Gute Gründe machten sie unternehmungslustiger als ein flüchtiger Geschmack auf den Lippen. Die Tachonadel war gerade auf siebzig geklettert, als Anja mit voller Kraft in die Bremsen trat. Sie schloß die Augen und atmete aus. Um ein Haar hätte Hektor anstelle seines Sterns einen Fahrradreifen auf dem Kühler gehabt. Nach einer weiteren Schrecksekunde riß sie die Fahrertür auf und hechtete auf die Straße. Vor Hektor saß ein Lumpenbündel aus Selbstgestricktem, Palästinensertuch und Latzhose, das ansonsten aber unversehrt wirkte.
    »Verdammte Scheiße, hast du idiotischer Karottenfresser schon mal was von Vorfahrtsstraßen gehört?!«
    »Faschisdeaudos henn koi Vorfahrt.«
    Anja schnaubte wie ein gereizter Stier: eine von diesen widerlichen alternativen Kanalratten, die aus Tübingen und Stuttgart kommend ganz Berlin überschwemmten.
    Der junge Herr aus dem Süddeutschen rappelte sich auf und griff nach Hektors Stern, ehe Anjas alkoholisch gebremstes Hirn verstand, was er vorhatte. Das folgende trockene Knacken ging ihr durch Mark und Bein. So mußte es klingen, wenn einem jungen Kaninchen das Genick gebrochen wurde.
    Anja ging langsam auf den Angreifer zu, der sich
breitbeinig vor Hektor aufgebaut hatte. »Du Ökowichser. Ich glaube, du hast gerade einen großen Fehler gemacht. «
    Ein Kinnhaken holte dem jungen Herrn die Brille aus dem Gesicht, ein wohlplazierter Tritt in die Latzhose ließ ihn zusammenklappen wie ein Taschenmesser. Sein Fahrrad erledigte Anja mit Muskelkraft und Cowboystiefeln, anschließend hängte sie das bizarr geformte Gebilde aus Gummischläuchen und Metallstangen über einen benachbarten Bauzaun. »So, das wär’s. Bißchen Kunst am Bau kommt immer gut.«
    Mit einem knappen, energischen Griff befreite Anja den Stern aus der rechten Hand des Täters, die ihre Beute schmerzverkrampft umklammert hielt. Der Mißhandelte stöhnte auf, während Anja das Metall behutsam anhauchte, um es anschließend mit ihrem Seidenschal zu polieren. Es war innerhalb von neun Monaten der dritte Stern, den Hektor verloren hatte. Nachdem sie das gute Stück in ihrer Jackentasche hatte verschwinden lassen, stieg Anja wieder in Hektor, stellte den Automatikhebel auf rückwärts und fuhr in elegantem Bogen um den jungen Mann auf der Straße herum, der undeutlich etwas von Nazischweinen jammerte.

DIE KRANKHEIT ZUM TODE
    Im Treppenhaus herrschte ein merkwürdiger Geruch. Auf jedem Treppenabsatz, mit dem sich Anja ihrer Wohnung im vierten Stock näherte, verdichtete sich der Gestank. Nachdem sie die Wohnungstür aufgeschlossen hatte, war kein Zweifel mehr möglich: Ulf hatte Fisch gekocht. Es roch verboten.
    Als Anja den Lichtschalter im Flur bediente, tat es einen kleinen Knall und blieb dunkel. Leise fluchend tastete sie sich durch den stockfinsteren Flur in Richtung Küche, bis sie über etwas Weiches, Warmes fiel. Einen kurzen Moment geriet Anja in Panik, sie

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