Berliner Aufklaerung - Roman
schlug mit den Armen um sich, griff jedoch nur in zotteliges Fell. Erleichtert atmete sie auf. Dieser verdammte Hund hatte ein unglaubliches Talent, sich zum Schlafen genau dorthin zu legen, wo garantiert jemand über ihn drüberfallen mußte.
Anja stand auf und erreichte endlich den Lichtschalter in der Küche. Wenigstens hier funktionierte die Glühbirne noch.
Man mußte keine Hundekennerin sein, um sofort zu erkennen, daß dieser Hund hier ein toter Hund war. Mit verdrehten Augen, auf den Boden hängender Zunge und starr ausgestreckten Vorderbeinen wirkte Vico wie jemand, den der Tod mitten im Leben überrascht hatte. Anja empfand Erleichterung. Was Vico anbelangte, hatte sie ihre Schuldigkeit nun getan, und wenn es wenigstens jenseits dieser Welt einen Funken
Gerechtigkeit gab, könnte sich Rebecca nun wieder um ihren alten Köter kümmern. Anja wunderte sich dennoch, daß Vico so plötzlich vom Tod ereilt worden war, sie hätte wetten können, daß er sich eines Tages unbemerkt im Schlaf verabschieden würde. Vielleicht hatte er die Milieuveränderungen der letzten Tage nicht verkraftet.
Auf dem Küchenboden lag ein umgekippter Kochtopf, aus dem Reste einer gräulichen, von schleimigen Brocken durchsetzten Masse quollen. Die Seezunge in Anjas Magen schlug einige Male mit der Schwanzflosse. Wenn Anja die Situation richtig überblickte, hatte sich dieser gefräßige Hund über den schwulen Fischeintopf hergemacht und war dann gestorben. Blieb nur die Frage, ob zwischen dem Fischgericht und Vicos Tod eine Kausalverbindung bestand oder nicht. Anja war gern bereit zu glauben, daß diese Mahlzeit Vico den Rest gegeben hatte. Was sollte schon dabei rauskommen, wenn Ulf Fisch kochte? Die Ravioli der letzten Tage waren Vicos verzärteltem Magen gut bekommen, aber dieses Labskaus hier hätte auch stärkere Hunde umgehauen. Anja entdeckte auf dem Küchentisch einen Zettel, der mit Ulfs kindlicher Handschrift bedeckt war. »Liebe Anja! Peer und ich haben ein neues Rezept ausprobiert. (Fischragout Nordmänner Art) Du kannst gern was probieren, laß uns aber was übrig. Wir sind so um zwölf aus der Sauna zurück. Liebe Grüße, Ulf.« Anja bedankte sich für das nette Angebot.
Der Zettel war beschwert mit einer Dose »Hot Lubricant«. Anja stellte fest, daß es an der Zeit war, ein ernsthaftes Wörtchen mit Ulf und seinem neuen Deckhengst zu reden. Gewisse Dinge hatten in ihrer Küche nichts verloren.
Während sich Anja auf einen der klapprigen Stühle fallen ließ, merkte sie erst, wie müde sie war. Sie beschloß, die Küche inklusive Vico im Flur so zu belassen, wie sie sie vorgefunden hatte. Die Homos hatten ihn ins Jenseits gekocht, also sollten sie ihn auch wegräumen. Wohin brachte man eigentlich tote Hunde? Rebecca hätte Vico sicher in ihrem Garten beerdigt.
Anja öffnete das Fenster und hielt ihr Gesicht in die kalte, kohlenstaubgeschwängerte Neuköllner Nachtluft. Sie griff nach Hektors gesunkenem Stern in ihrer Jackentasche. Etwas hatte sich in ihm verwickelt. Als sie ihn hervorgeholt hatte, blinkte sie ein schmales Goldkettchen mit Münzanhänger an, das zwischen seinen Zacken hinunterhing.
HORIZONTVERSCHMELZUNG
Durch die geschlossenen Fensterläden fielen nur wenige schwache Lichtstrahlen in den Raum. Bevor er auf einem geflochtenen Herrenslipper aus Leder endete, streifte einer der Lichtstrahlen einen alten Holzstuhl, über dessen Lehne ein weinroter Kaschmirpullover und eine dunkle Cordhose hingen. Ein anderer Lichtstrahl traf das linke Auge einer Madonna, die gemeinsam mit ihrem Sohn aus goldgerahmtem Ölbild herabblickte. Ein dritter Lichtstrahl kroch über das Fußende eines massiv hölzernen Bettgestells, bis er sich auf nackter weißer Rückenhaut brach.
Von Ferne war das Plätschern eines Flusses zu hören, Kirchturmglocken schlugen Mitternacht, irgendwo in der Nachbarschaft heulte ein Hund.
Ein Kachelofen verbreitete im Zimmer angenehme Wärme. Der nackte weiße Rücken rollte sich auf die Seite und gab dem Lichtstrahl den Weg auf einen wohlgeformten ovalen Bauchnabel frei. Nach einigen Sekunden der Stille erklang vom Kopfende des Bettes eine etwas gereizte Frauenstimme. »Willi, was ist denn jetzt schon wieder los?«
Maier-Abendroth richtete sich mit einem trockenen Hüsteln auf. »Ich habe dir doch schon hundertmal gesagt, daß du nicht an meinem Anus herumfingern sollst. Schließlich bin ich keiner von diesen Perversen. «
Petra Uhse setzte sich ebenfalls auf. »Mein Gott, sei
doch
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