Berliner Aufklaerung - Roman
Atmosphäre hier ihn zusätzlich beflügelte. Sie umgab die körperliche Liebe mit einer Aura der Unschuld, die sie in diesen verkommenen Großstädten längst verloren hatte.
Petra spürte, wie die monotonen Quietschgeräusche sie langsam einschläferten. Sie war unentschieden, ob sie dies gut oder schlecht finden sollte. Mit zunehmender Müdigkeit sanken ihre Ansprüche: Einerseits
wuchs somit die Chance, daß die heutige Nacht doch nicht völlig vertan war, andererseits konnte sie es nicht gutheißen, daß der Mann so billig davonkam.
Willi merkte, wie sich seine Gedanken entspannten. Vielleicht sollte er den Status der Sexualität in der Gesellschaft der Zukunft noch einmal neu überdenken. Er fühlte sich frei wie ein Adler, der mit kraftvollen Schwingen die Lüfte zerteilt.
Petra beschloß, sich ihrer Müdigkeit zu fügen. Würde sie Willi jetzt zu einer Änderung ihrer Stellung drängen, wäre für heute nacht vermutlich alles verloren.
Der Adler schwang sich weiter empor. Sein ganzer schwereloser Körper hielt angespannt Ausschau nach Beute, die sich unten im Gebüsch verbarg.
Petra schloß die Augen, atmete tief aus und ließ den Schlaf in wachsenden Wellen über sich kommen.
Mit einem spitzen Schrei stieß der Adler hinab. In seinen Krallen hielt er ein kleines Tier, das in Todesangst zuckte.
Die Kirchturmglocken schlugen einmal. Im Zimmer herrschte wieder Stille, nur das Wasser rauschte, und das Holz im Ofen knisterte.
Maier-Abendroth strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Ach ja, Petra, was ich ganz vergessen habe: du mußt morgen nach Berlin zurückfahren. Am Nachmittag kommt eine Journalistin von der Wochenpost zum Interview, ich denke, es ist für uns beide besser, wenn sie dich hier nicht antrifft.«
Die Madonna lächelte milde.
MORGENRÖTE
Im Flur, in Nähe der Wohnungstür, lag ein großes, unförmiges Paket, das mit einem von Ulfs Badehandtüchern zugedeckt war. Anja stellte befriedigt fest, daß die Homos bereits erste Schritte zur Beseitigung von Vicos sterblichen Überresten unternommen hatten. Nach zwölf Stunden Tiefschlaf fühlte sie sich für die anstehende Abrechnung sowohl mit den beiden als auch mit Maier-Abendroth bereit.
Ulf saß am Küchentisch und rührte abwesend in einer Kaffeetasse, aus dem Bad erklang das Brummen eines Rasierapparates. Als Ulf Anja kommen hörte, blickte er mit geröteten Augen auf. Es sah so aus, als ob er mal wieder geheult hätte.
»Na, Beziehungsstreß mit Peer?« Gutgelaunt nahm sich Anja eine Tasse, schenkte sich Kaffee ein und setzte sich Ulf gegenüber auf einen der freien Klappstühle.
»Ach Anja, der arme Vico. Er dudmer ja so leid.«
Anja schlug ihre unter dem Kimono nackten Beine übereinander. »Ulf, das ist unlogisch. Vico ist tot und kriegt nichts mehr mit, also braucht er dir auch nicht leid zu tun. Er hätte dir höchstens gestern abend leid tun können, als er euren Fraß geschluckt hat. Aber das hättest du dir eben vorm Kochen überlegen müssen.«
Ein Tränchen kullerte über Ulfs linke Wange. »Isch hab’ ihn so gemocht, er war so’ n goldischer Hund.«
»Sei froh, daß Vico das Zeug gefressen hat, vielleicht wärt ihr zwei sonst dran krepiert.«
Nun strömten die Tränen aus beiden Augen. »Anja, sag doch net so ebbes, daran derf isch ja gar net denke’. Dabei wolldemer doch nur Fisch koche’, un’ dann, stellder des vor, uff eimal wäre mir beide dod, so ganz blötzlich.«
Soviel Anja verstand, war Ulf gerade dabei, die Fragilität menschlichen Lebens zu entdecken. Sie nahm einen großen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. Im Bad war das Rasiererbrummen von Duschprasseln abgelöst worden. »Kannst du mir vielleicht verraten, was ihr da für einen Molotow-Eintopf zusammengekocht habt? Als ich gestern in die Wohnung gekommen bin, hätte ich beinahe gekotzt.«
Ulf wurde immer noch von Weinkrämpfen geschüttelt. »Isch wases net, es war halt so’n neues Rezept, das Peer mitgebracht hat.«
»Hat er sich das vom Chef-Chemiker bei Schering geben lassen?«
»Ach Anja, mach disch doch net aach noch lustisch üwwer uns.«
Anja fand, daß es mit dem Dialektgequatsche nun eigentlich reichte. »Vielleicht solltet ihr euch beim Kochen eben nicht nebenbei mit anderen Dingen ablenken. Don’t fuck while you cook!«
»Was höre ich da für weise Ratschläge?« Peer hatte seine Morgentoilette beendet und stand stahlblau grinsend in der Badezimmer- beziehungsweise Speisekammertür.
Anja drehte sich um. »Schön, daß du auch
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