Berndorf 07 - Trotzkis Narr
sein, denn zu deutlich ist zu spüren, dass man ihn bereits abgehakt hat … Ja doch! Das muss Finklin gewesen sein – wissen Sie, Märtyrer sind immer nützlich, solange sie eben Märtyrer sind und sonst das Maul halten!«
»Was macht Finklin heute? Wovon lebt er?«
Täubnitz nimmt seine Drahtbrille ab und reibt sich die Augen. »Er ist unter die Blogger gegangen, acht 21 heißt die Kolumne … Wollen Sie wissen, was mir dazu einfällt? Am 21. August 1940 wurde Trotzki ermordet, und am 21. August 1968 marschierte der Warschauer Pakt in die Tschechoslowakei ein. Ich fürchte aber, besonders unterhaltsam ist sein Blog nicht.«
»Und wovon lebt er?«
»Irgendwer sagte, er habe immer wieder Aufträge für irgendwelche Expertisen.« Täubnitz hebt beide Hände. »Fragen Sie mich aber nicht, wofür er sachverständig ist. Vielleicht für Boxsport? Vielleicht macht er auch Übersetzungen. Jedenfalls publiziert er nicht. Außer im Netz …«
Mittwoch
S ie hätten ihm wenigstens die Zeitung bringen können, das ist doch nicht zu viel verlangt. Gestern hat der Alte doch auch damit herumgewedelt. Oder ihm ein Radio in das Kabuff stellen. Das gibt es doch in jedem Haushalt, und wenn es so eine alte Transistor-Plärre ist.
Harlass kauert auf dem Bett. Wie spät mag es sein? Irgendwann hatten sie ihm Frühstück gebracht, dann muss er wieder geschlafen haben, dann war er wach, dann hat er versucht, sich einen herunterzuholen. Er tastet nach dem Auge, die Schwellung fühlt sich komisch an, als hätten sie ihm Pudding in die Backe gespritzt. Wie lang soll das so weitergehen? Die Flecken, die der Rost in das Emaille des Bettgestelles gefressen hat, kennt er nun auch schon auswendig.
Er steht auf, muss sich dabei nicht einmal festhalten und geht zum Spiegel über dem Waschbecken, tatsächlich hängt ihm die Schwellung auf die Backe herunter und ist dabei, sich zu verfärben. Es ist blöd, so auszusehen, aber im Augenblick will er ja gar nicht unter die Leute. Er gurgelt noch einmal, obwohl das Halsweh kaum mehr zu spüren ist, dann zieht er doch das Nachthemd aus und wäscht sich, denn auf dem Handtuchhalter neben dem Waschbecken hat er neben den Handtüchern einen frischen Waschlappen entdeckt. Als er sich getrocknet und das Nachthemd wieder übergezogen hat, greift er zum Rasierer, der Akku ist noch nicht aufgeladen, aber neben der Neonröhre über dem Waschbecken ist eine Steckdose. Er rasiert sich, obwohl es wirklich egal ist, wie er aussieht. Aber das hat er beim Bund gelernt: dass man sich auch im Stress rasiert. Weil es zeigt, dass sich einer nicht unterkriegen lässt.
Außerdem hat er Hunger. Sie könnten ihm jetzt mal das Mittagessen bringen. Allmählich müsste es Zeit dafür sein. Er bläst den Scherkopf des Rasierers aus und spült die Bartstoppeln in den Abfluss. Man soll nicht sehen können, hat der Alte gesagt, dass in dem Kabuff jemand zu Besuch ist … Besuch, da soll einer nicht lachen! Außerdem – wenn die Polizei wirklich hereintappt: was soll die denn wohl von dem Rasierapparat denken und von der Zahnbürste und von dem Wasserglas auf dem Schemel neben dem Bett? Und von dem nassen Waschlappen?
Trotzdem will er sich noch einmal den Trick mit der Täfelung ansehen. Er geht zum Kniestock, inzwischen hat er den Griff heraus, die Luke klappt auf, und er schaut hinein. Drin kann man wirklich nur kauern, oder man legt sich auf den Bretterboden. Eine Matratze wäre nicht schlecht. Und eine Lampe. Das muss er dem Alten stecken. Er holt Waschlappen, Handtücher, Zahnbürste und Rasierer und verstaut alles auf dem Bretterboden hinter der Täfelung, gleich neben der Luke. Dann macht er sein Bett, zieht die Laken und die Wolldecke gerade und stopft die Enden unter die Matratze. Das sieht ganz ordentlich aus, denkt er dann, aber warum hat er das eigentlich gemacht?
Der Alte muss einsehen, dass er nicht den ganzen Tag hier drin bleiben kann. Er nimmt das Wasserglas vom Schemel, leert es aus und stellt es umgekehrt auf die Ablage unterm Spiegel. Den Schemel platziert er unter dem Dachfenster, steigt hinauf und kann das Fenster aufdrücken. Frische kalte Luft kommt von draußen, aber es dauert eine Weile, bis er merkt, dass es ihn fröstelt. Was ist draußen? Draußen ist das Dach, buntscheckig, weil es mit vielerlei Ziegeln geflickt ist, wenn er nach links schaut, sieht er einen Teil der Straße, die er irgendwann – vorgestern? – hochgekommen ist. Und was noch? Abgeerntete Felder, und Wald am Horizont. Wolken,
Weitere Kostenlose Bücher