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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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dieser prüfenden oder fragenden Blicke zu Tamar, die sich nun doch zu einer Klarstellung verpflichtet fühlt.
    »Sie vergessen, dass ich nicht Sie beobachtet habe. Und auf Sie aufgepasst habe ich schon gar nicht, das ist sicher nicht der richtige Ausdruck. Mein Job war ausschließlich, zu sehen, ob jemand anderes Ihnen nachstellt.«
    »Ich will mich auch gar nicht beklagen. Gewiss nicht über Sie. Mich beschäftigt etwas anderes. Wie geht es Ihnen damit, wenn Sie jemanden beobachten? Bleibt das ganz professionell, oder kann es sein, dass Sie irgendwann Ärger empfinden oder Mitleid oder versteckte Sympathie?«
    »Wir kommen der Zielperson einer Observation selten so nahe, dass sich diese Frage stellt«, antwortet Tamar, bemüht, einen möglichst sachlichen Ton anzuschlagen. »Wir sollen ein Bewegungsprofil erstellen. Wohin geht die Zielperson, was tut sie da, mit wem trifft sie sich – das ist meist schon alles, und wenn es richtig sein soll, ist das Arbeit genug. Wir erstellen kein Psychogramm.«
    »Berndorf sagte mir, Sie seien Kriminalbeamtin gewesen …« Sie bricht ab, denn über den Tisch hinweg hat sie ein wachsamer Blick getroffen.
    »Er war einmal mein Chef. Als eine Gelegenheit dazu war, hat er sich vorzeitig pensionieren lassen. Warum er das getan hat, habe ich zunächst nicht verstanden. Aber nach einer Weile dann schon …«
    »Ich will um Gottes willen keine indiskreten Fragen stellen«, stellt Karen eilig klar, »mir ist nur Ihre Bemerkung über das Psychogramm aufgefallen. Haben Sie sich denn als Kriminalbeamtin nicht fragen müssen, warum jemand etwas tut? Was seine Motive sind? Wie es in einem Mörder aussieht?«
    »Die Frage stellt man sich immer, aber man hat sie nicht zu beantworten. Wir haben Fakten zu liefern. Punkt. Alles andere ist Sache der Gutachter und letztlich des Gerichts. Wenn Sie Berndorf fragen, wird er Ihnen vermutlich antworten, dass er das Urteilen überhaupt verabscheut. Aber Vorsicht: er neigt dazu, mit solchen Ansichten zu kokettieren.«
    »Es geht mir nicht so sehr um das Urteilen«, sagt Karen bedächtig. »Ein Mensch fasst einen anderen ins Auge. Folgt ihm. Er begleitet ihn, auch wenn er selbst dabei im Dunkeln bleibt. Wenn man auf diese Weise über einen Anderen ein oder zwei Dinge erfährt, die vielleicht sonst niemand kennt, Dinge, die skandalös sein können oder auch banal – ist man diesem Anderen nicht in einer gewissen Weise verbunden oder ihm nahe?«
    Tamar hebt ein wenig den Kopf, und ihre Augen werden schmal. Nähe? Es gibt Geschichten, die gehen einem so nahe, da gäbe man weiß Gott was dafür, wenn man sie ein wenig auf Abstand halten könnte. Und du? Von welcher Nähe redest du? Das geht mir ein wenig schnell, Mädchen. Ein wenig zu schnell. Und plötzlich fällt ihr auch die Gedichtzeile ein, nach der sie gesucht hat:
    Und nun im Raum ein Rot auf einem Munde/Und eine Schale später Rosen – Du!
    »Vielleicht dramatisiere ich«, fährt Karen fort und nimmt mit der Gabel ein Stück vom Räucherlachs auf. »Als ich herausfand« – sie lässt die Gabel wieder sinken – »dass dieser Mensch, dieser Carsten Stukkart, mir die Leute von Meunier hinterhergeschickt hat, da hat mich das angewidert, aber gleichzeitig auf eine bestimmte Weise auch provoziert. Schwamm drüber! Jetzt sieht es noch einmal anders aus. Sie müssen wissen, dass ich gestern Abend im Theater wieder dieses Gefühl hatte – da ist jemand, und dieser Jemand hat mich im Blick. Ich muss also Sie gespürt haben, Sie und Ihren Blick. Das gibt dieser Geschichte eine merkwürdig andere Qualität.« Sie versucht ein entwaffnendes Lächeln. »Womöglich handelt es sich um das, was man in der Psychoanalyse eine Übertragung nennt.«
    Tamar hat sich zurückgelehnt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Ihr fällt ein, dass diese Körperhaltung im Augenblick nicht das richtige Signal ist. Nicht für Gespräche über Psychoanalyse. Danke! Also legt sie die Arme auf den Tisch und verschränkt sie. »Wenn es so sein sollte«, sagt sie, »dann sehen Sie in mir hoffentlich nicht die böse Schwester.«
    »Das wird, glaube ich, ganz sicher nicht passieren«, antwortet Karen. »Außerdem war ich ein Einzelkind. Vielleicht liegt da das Problem«, fügt sie kauend hinzu. Auch Tamar macht sich über das Holzofenbrot und den Brie her, von dem sie sich genommen hat, und so essen beide, nur ab und an geht ein Blick über den Tisch und kreuzt sich mit dem der anderen. Dann lobt Tamar den Grünen Tee und bekommt

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