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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Stunde brachte mir ein Kurier einen Umschlag mit diesen Kopien, sonst war nichts drin, kein Begleitschreiben. Lesen Sie die vier Artikel durch, die Geschichte ist zwanzig Jahre alt, aber wenn Sie eine Chance dafür sehen, versuchen Sie, in der Gay Community einen Zeugen aufzutreiben – aber erst morgen, nicht heute Abend, da sind Sie bitte in Nikolassee.«
    »Ich bin nicht heute Abend dort, sondern zum Tee.« Etwas widerstrebend nimmt Tamar die Kopien. »In der Gay Community, sagten Sie?« In ihre Stimme mischt sich ein leicht gereizter Unterton. »Es würde Ihnen nicht schlecht stehen, sich selbst einmal dort umzusehen. Zur Abwechslung von den Zuckerdosen im Stehcafé neben dem Polizeirevier.«
    Berndorf wirft ihr einen schiefen Blick zu. »Außerdem könnten Sie sich von der Dame Andermatt die Geschichte vom Jutesack und den Backsteinen erzählen lassen.«
    »Bitte?«
    »Der Jutesack war über Regulskis Leiche gezogen und mit Backsteinen festgehalten, verstehen Sie? Und vielleicht wäre es hilfreich, wenn man die richtigen Leute auf die Idee brächte, mal nachzugucken, ob sich in der Nähe vom Fundort der Leiche Regulskis vielleicht ein Wasserloch befindet.« Mit beiden Händen hält er einen imaginären Kartoffelsack hoch und versenkt ihn in einem ebenso imaginären Wasserloch.
    »Ich verstehe«, sagt Tamar. »Zumindest einen Teil … aber wenn es da wirklich ein Wasserloch gibt, was sollen die richtigen Leute denn da drin finden? Regulskis Leiche haben sie ja schon …«
    »Lesen Sie die Zeitungsausschnitte«, antwortet Berndorf.
    K aren Andermatt hat diesmal nicht das kurze Schwarze angelegt, das ohnehin in der Reinigung sein wird, sondern trägt einen sehr britisch anmutenden Rock – Harris-Tweed? – und dazu einen Cashmere-Pullover. Sie bemüht sich, die Besucherin mit so unbefangener Herzlichkeit zu begrüßen, als ob es in der ganzen Welt nichts gäbe, weshalb man befangen sein müsste. »Ich finde es wirklich ganz reizend, dass Sie trotz meiner überfallartigen Einladung gekommen sind.« Als Tamar schon eingetreten ist, fügt sie noch hinzu: »Und ich hoffe sehr, Sie haben es nicht deshalb getan, weil Sie schon wieder auf mich aufpassen müssen.«
    »Nein, heute habe ich frei«, antwortet Tamar und versucht sich an einem kurzen Lächeln. »Das habe ich mit Berndorf so ausgemacht.«
    »Sie arbeiten in seinem – wie sagt man? Büro? In seiner Agentur?«
    »Nein. Er hat nur manchmal einen Auftrag für mich.«
    »Ich hätte mich also auch direkt an Sie wenden können?« Karen legt den Kopf ein wenig schräg. »Oder könnte es, wenn ich mal ins Theater will und jemanden brauche, der mich danach wieder aufsammelt?«
    »Sie haben ja meine Adresse«, sagt Tamar.
    Den Tee gibt es an einem großen massiven Holztisch, und es gibt nicht einfach nur Tee, sondern einen High Tea, mit Toast und Schinken und Lachs und französischem und Schweizer und italienischem Käse, alles so locker arrangiert, dass es eben nicht arrangiert aussieht. Dunkelrote Rosen füllen eine Glasschale, das Licht ist heruntergedimmt, aber es sind Kerzen angezündet, deren Licht sich in den Rosenblättern spiegelt. Puh!, denkt Tamar. Von ferne klingt eine Gedichtzeile an.
    Wahlweise gibt es Grünen oder Schwarzen Tee, Karen empfiehlt ein kleines Kontor in Charlottenburg, wo es große Auswahl an Teesorten aus ökologisch kontrolliertem Anbau gebe, und während sie das tut, blickt sie immer wieder einmal zu Tamar, die mit einer höflichen und beherrschten Aufmerksamkeit zuhört. Plötzlich bricht das Geplauder ab, Tamar blickt auf und in große, ein wenig ratlos wirkende Augen.
    »Sie müssen mich für eine unglaublich dumme Pute halten«, erklärt Karen Andermatt und versucht ein schiefes Lächeln, »nachts kotze ich auf den Straßen herum, und am nächsten Tag tue ich so, als ob ich nichts anders im Kopf hätte als Teesorten aus ökologischem Anbau …«
    »Und?«, fragt Tamar artig. »Das ist doch ein interessantes Thema!« Inzwischen ist ihr eingefallen, dass es ein Gedicht von Benn sein muss, nach dem sie sucht.
    »Ganz gewiss nicht für jemanden wie Sie«, widerspricht Karen. »Entschuldigung, das klingt schon wieder blöd. Offenbar bin ich Ihnen gegenüber noch immer schrecklich befangen, das hat nicht nur mit gestern Nacht zu tun, sondern auch damit, dass Sie wohl schon seit Samstag – wie soll ich das sagen? – nun ja: dass Sie seit Samstag ein Auge auf mich gehabt haben …« Sie nimmt einen Schluck Tee und wirft dabei wieder einen

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