Berndorf 07 - Trotzkis Narr
dieser Besuch pünktlich ist, denkt Harlass, müsste er jetzt kommen. Der Wagen würde rechts abbiegen, in die Einfahrt, und wer immer das Haus beobachtet, wird dann wissen wollen, wer aus dem Wagen steigt. Dies wird der eine und einzige Augenblick sein, an dem er ohne allzu großes Risiko das Haus verlassen und die Straße überqueren kann.
Von der Küche her fällt Licht auf den Flur, Harlass erschrickt und geht einen Schritt von der Tür weg. Was tust du da?, fragt er sich dann. Die Haustür öffnet sich doch nach Nordwest, kann also vom Waldrand aus gar nicht eingesehen werden, der liegt östlich vom Haus. Reiß dich zusammen! Marie erscheint und scheucht den Hund, der ihr vorausgelaufen ist, zurück in die Küche. Sie trägt einen Beutel, nein: eine Feldtasche. »Bisschen was zu essen«, sagt sie und hängt ihm die Tasche um. Für einen Augenblick bleibt sie im Halbdunkel vor ihm stehen, sie sind sich so nahe, dass er ein merkwürdiges Funkeln in ihren Augen sieht, es dauert einen Moment, dann wendet sie sich ab.
Auf der Straße draußen wird es hell, ein Wagen nähert sich, wird langsamer, er sieht, dass Finklin auf die Straße vortritt und den Ankömmling in die Einfahrt einweist. Das Fahrzeug wird noch langsamer, rollt an der Eingangspforte vorbei, Harlass schlüpft aus der Tür – die rechte Hand mit der Pistole darin unter der Jacke versteckt – und geht geduckt und rasch durch den Garten und über die Straße und taucht in den Straßengraben ab.
Für einen Augenblick bleibt er einfach liegen und horcht, was vom Haus her zu hören ist. Finklin scheint den Besuch zu begrüßen, als ob es einer zum Kaffee wäre, die beiden anderen Stimmen sind leiser, er muss den Kopf ein wenig anheben, um besser zu verstehen.
»Ich sollte Sie vorwarnen« – das ist Finklins Stimme – »es gibt Leute, die mögen mich nicht so besonders. Manchmal legen sie mir einen toten Fuchs vor die Tür, manchmal schmeißen sie Steine. Irgendwann wird es noch etwas anderes sein.«
»Am Telefon klang es so, als ob Sie so etwas für heute Abend erwarten?«, fragt eine Frauenstimme.
»Das ist nicht ganz ausgeschlossen, ja … Wenn Sie trotzdem eintreten wollen …«
Gleich darauf schließt sich die Haustür wieder, und Harlass blickt zum Himmel. An einem Dreiviertel-Mond treiben Wolken vorbei, und so ist es immer wieder hell genug, dass man gut sehen kann, wenn vorne auf der Straße einer geht. Harlass überlegt kurz. Es gibt lustigere Dinge als einen halben Kilometer lang durch einen Straßengraben zu robben. Aber es ist zu schaffen. Wenn man es nicht zu schnell angeht. Wenn man es gleichmäßig tut. Wenn man sich Zeit lässt.
D er Mann, der sie mit kräftigem Händedruck willkommen heißt, ist nicht mehr jung. Aber in seiner Erscheinung, so erscheint es Berndorf, liegt noch immer eine sprungbereite Kraft. Umso befremdlicher erscheint ihm, dass dieser Mensch eine Pistole im Hosenbund stecken hat, unter dem abgeschabten Tweed-Sakko kaum oder gar nicht verborgen, als ob das in diesem Haus so selbstverständlich sei wie der Hund, der ihnen um die Beine schnüffelt.
Offenbar hat der Hund keine weiteren Einwände gegen sie, Tamar und Berndorf werden in ein mit Bücherregalen vollgestopftes Arbeitszimmer geleitet, für Tamar findet sich ein Korbsessel, für Berndorf ein Bauernstuhl mit hoher Lehne und geflochtener Sitzfläche, denn im zweiten Korbsessel hat schon mit großer Selbstverständlichkeit der Hund Platz genommen und sich zusammengerollt.
Brutus Finklin holt ungeniert die Pistole hervor – es ist eine Walther PPK – und legt sie auf den Schreibtisch. »Entschuldigen Sie bitte«, sagt er dann und nimmt selbst Platz, »es gehört sonst nicht zu meinen Gewohnheiten, Besucher mit einem Schießeisen im Hosenbund zu begrüßen! Aber ich sagte Ihnen bereits – es sind heute möglicherweise besondere Umstände.« Er blickt von Tamar zu Berndorf und wieder zu Tamar, und weil der aufgeklappte Bildschirm seines Notebooks dabei stört, schließt er ihn.
»Wir haben uns nicht bedroht gefühlt«, sagt Tamar. »Außerdem würde es mich freuen, wenn Ihnen unsere Anwesenheit in irgendeiner Weise nützlich sein könnte.«
F inklin betrachtet sie prüfend und – wie es Berndorf scheint – nicht ohne Wo hlgefallen. Dann richtet sich der Blick auf Berndorf, ist aber nur noch prüfend. »Das ist ganz sicher so. Ich wäre sonst nicht so ohne weiteres mit Ihrem Besuch einverstanden gewesen. Trotzdem ist es mir, um ehrlich zu sein, völlig
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