Berndorf 07 - Trotzkis Narr
allmählich nimmt er Umrisse wahr, alles ist still um ihn. Wirklich still? In seinen Ohren ist ein Rauschen, das er sich nicht erklären kann. Aber niemand sonst ist hier, niemand außer ihm hat dieses Versteck entdeckt.
Ihn fröstelt. Die nasse Hose klebt an seinen Beinen. Und wieder hat er den Geruch nach Jauche in der Nase. Er versucht sich zu orientieren, schiebt noch einmal den Vorhang aus Zweigen zur Seite, vor ihm – oder genauer: unter ihm liegt die Talsenke mit Finklins Datsche, die Außenlampe am Schuppen ist noch immer eingeschaltet und beleuchtet das Auto der Besucher, offenbar soll jedermann wissen, dass Finklin nicht allein ist. Er wendet sich wieder ab und tastet sich zu dem Baumstamm zurück, dabei bekommt er eine klebrige Hand vom Harz. Gebückt geht er unter den herunterhängenden Ästen zur Ostseite der Fichte, die dem nachtschwarzen Waldrand gegenüber liegt und von ihm durch die Straße getrennt ist, die in einer Rechtskurve den Hang hinaufführt. Über die Straße und bis zum Wald sind es zwanzig, eher dreißig Meter, aber der Mond ist jetzt schon so weit im Westen, dass die Fichte einen schwarzen Schatten über die Fahrbahn der Straße wirft. Es hat keinen Sinn, länger zu warten, denkt Harlass, geht mit pochendem Herzen hinüber zum Wald und zwängt sich zwischen Gesträuch hindurch unter den Schutz der Bäume. Eine Ranke verfängt sich an seinem rechten Bein und ratscht mit ihren Dornen einen Riss in Hose und Haut. Knackend birst ein morscher Ast unter seinem Fuß. Es klingt wie ein Schuss.
Erschrocken bleibt er stehen. Links neben ihm ist ein Baum, er tastet mit der Hand danach und schiebt sich dann an den Stamm, der ihm Schutz geben soll, wenn … Wenn was sein wird? Aber nichts rührt sich um ihn herum, und wieder hört er nur dieses Rauschen in den Ohren.
J emand klopft an die Fensterscheibe des Wagens, und sofort ist Patzert wach, richtet sich von dem zurückgeklappten Autositz auf und öffnet die Wagentür. Halb im Schatten, halb im Mondlicht steht Uwe Kappolt vor ihm, das Fernglas umgehängt. »Da sind Leute gekommen.«
»Leute?«
»In einem Auto. Ein Mann und eine Frau. Der Alte hat auf sie gewartet. Und dann sind sie alle ins Haus. Ich meine …«
Patzert hat die Rückenlehne wieder hochgestellt. »Ja?«
»Die sind noch immer da.«
»Wir brechen die Aktion deshalb nicht ab«, entscheidet Patzert. »Jetzt erst recht nicht.« Er schaut auf die Uhr. »Es ist noch zu früh. Was ist das für ein Auto?«
»Ein kleines. Irgendein Franzosenschrott.«
»Also kein Problem.« Patzert steigt aus, geht zum Kofferraum, öffnet ihn und holt etwas heraus, das wie ein Tragekorb mit Bierflaschen aussieht. »Steig ein, ich fahr.«
Kappolt schiebt sich auf den Beifahrersitz. »Was hast du vor?«
»Was werde ich vorhaben, Idiot!« Patzert reicht ihm über den Fahrersitz hinweg den Tragekorb mit den Mollies, den Kappolt zwischen seinen Füßen abstellt. Dann setzt er sich hinters Steuer und startet den Wagen. »Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagt er dann. »Immer gibt es die. Diese Leute, die da gekommen sind, die haben entweder Glück, oder sie haben keines. Entweder sie ziehen rechtzeitig Leine, und zwar ohne den Pisser, dann haben sie Glück gehabt. Wenn sie nicht rechtzeitig Leine ziehen oder den Pisser mitnehmen, dann haben sie kein Glück gehabt. Dann erwischen wir sie auf einer stillen, vom Mond beschienenen Straße im schönen Havelland, und das war es dann.« Der Wagen fährt langsam an, ohne Licht, und erreicht den Waldrand. Vor ihnen liegt die Einmündung des Waldweges in die asphaltierte Straße, die von Crammenow hoch- und am Wald entlang weiterführt zu den Weilern im Nordwesten. Patzert stoppt ab und flucht leise.
»Dass du die Datsche von hier aus nicht siehst«, sagt Kappolt, »das hätte ich dir gleich sagen können.«
»Und warum hast du es nicht?«
»Du hast nicht gefragt.«
Patzert steigt aus und betrachtet das Gelände. Diesmal gibt es sogar drei Möglichkeiten. Er oder Uwe müssten wieder nach links zum Hochstand gehen, von dem aus sie zur Datsche hinübersehen können. Das geht aber nicht, weil sie dann zu viel Zeit verlieren, bis sie wieder an ihrem Auto sind. Falls Harlass aber tatsächlich mit dem Franzosenauto abhauen will, dürfen sie ihm keinen zu großen Vorsprung lassen. Oder er müsste auf der Straße hundert Meter vorfahren, bis die Datsche in Sicht kommt. Das geht deswegen nicht, weil ihr Wagen auffallen würde. Weil der Pisser dann sofort sehen würde,
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