Berndorf 07 - Trotzkis Narr
Alarm hört … So viel hat er schon mitgekriegt, auch wenn sie ihn nie haben mittun lassen. Also? Er verstaut die Pistole in der Feldtasche und steckt die Tasche dann am Gürtel fest.
Tatsächlich gehen die nächsten Meter leichter, er kommt an einem Abflussrohr vorbei, das unter der Straße verlegt ist. Irgendetwas wird aber anders, er hat auf einmal nasse Hände, und als er das merkt, sind auch schon seine Knie nass, er kriecht nicht mehr einfach nur durch einen Straßengraben, sondern durch ein Rinnsal, von dem er lieber nicht wissen will, was es alles zu dem Abflussrohr schwemmt. Ein Geruch nach Jauche ist jedenfalls dabei, schon wieder wird er seine Klamotten waschen müssen. Wieder riskiert er einen Blick – der Waldrand ist näher gekommen, ja doch, und weiter vorne sieht er links einen Baum oder hochragendes Gebüsch, vielleicht kann er da schon den Graben verlassen …
T amar lobt den kräftigen dunklen Tee und die selbstgebackenen Kokos-Kekse, das hört die Maria so gerne, dass sie einen Knicks macht. Berndorf ist wieder ins Schweigen verfallen, denn er will vermeiden, dass er noch mehr von diesen Beiträgen über die stalinistisch-kapitalistisch-sozialdemokratische Weltverschwörung lesen muss. Lieber krault er mit der rechten Hand den Hund, der sich im Sessel neben ihm wohlig auf den Rücken gewälzt hat. Finklin dreht sich wieder eine Zigarette und wirft ab und an einen Blick auf Berndorf, als warte er auf dessen Kommentar.
»Ich verstehe«, sagt Berndorf schließlich, »Sie vermuten, dass Ihr Blog irgendjemandem auf die Hühneraugen gefallen ist. Das aber eröffnet ein weites Feld, vom CIA und anderen Geheimdiensten bis zu irgendwelchen stalinistischen Betonköpfen …« Er bricht ab, denn seine Lügerei ist ihm nun doch zu peinlich. Eigentlich hatte er fragen wollen, ob es denn wirklich noch einen Menschen in der großen weiten Welt gebe, dem dieses uraltlinke Stammtischdampfgeplauder nicht am Arsch vorbeigeht. Aber weil das so verstanden werden könnte, als habe er Zweifel an der Qualität und Wichtigkeit der Texte des Gastgebers, hat er davon Abstand genommen. Und nun weiß er nicht weiter.
»Warum«, so schaltet sich Tamar ein, »warum bedienen sich solche Leute dann deutscher Neonazis, und warum war Giselher Marcks das erste Ziel?«
»Was in der Welt geschieht, war und ist immer Klassenkampf. Und in allen Klassenkämpfen ist es die Aufgabe des Lumpenproletariats, als Handlanger des Kapitals die eigene Klasse zu unterdrücken.« Finklin nickt und zündet sich die Zigarette an. »Und Giselher sollte nicht umgebracht werden, sondern er sollte in die Knie geschossen werden. Die Mafia tut so etwas. Zur Warnung, verstehen Sie? Vermutlich wollten die Leute, die das in Auftrag gegeben haben, auch mich warnen. Und gleichzeitig wollten sie ihn und auch mich als Mafioso abstempeln. So!« Er trinkt einen Schluck Tee und funkelt seine beiden Gäste an. »Jetzt sollte ich aber doch allmählich erfahren, was genau Sie von mir wollen.«
D er Graben ist wieder trocken, er ist also über die Stelle hinausgekommen, an der das Rinnsal eingeleitet wurde. Aber das hilft ihm jetzt auch nichts mehr. Die ganze Hose ist nass und klebt ihm an den Beinen. Außerdem riecht er, als wäre ihm sonst ein Unglück zugestoßen. Aber das hat keine Bedeutung mehr. Wirklich wichtig ist nur noch, dass er keinen Meter weiterkriechen will. Vorsichtig lugt er aus dem Graben, der Waldrand ist noch immer dreißig oder vierzig Meter entfernt, aber links von ihm steht dieser einzelne Baum mit ausladenden und zu Boden hängenden Ästen. Er wirft einen Blick hinauf zum Nachthimmel, der Dreiviertel-Mond steht hoch über ihm, aber eine Wolke zieht heran, es ist eine schwere dunkle Wolke, Harlass tastet nach der Feldtasche in seinem Rücken und holt die 464 Viking heraus, dann ist die Wolke auch schon da und verdeckt den Mond und dimmt das helle kalte Licht herunter.
Er kriecht aus dem Graben, richtet sich auf und geht geduckt die wenigen Schritte zu der freistehenden Fichte. Die Viking 464 in der rechten Hand, schiebt er mit der linken die herunterhängenden Nadelzweige zur Seite und bleibt unter den Ästen stehen, die sich wie ein Zelt um ihn schließen. Das ist ein guter Platz, denkt er, und im selben Augenblick überfällt ihn rasende Angst – was ist, wenn auch Dolf dieses Versteck gefunden hat? Oder einer der anderen – der anderen was? Er hat keine Kumpel. Kameraden schon gar nicht. Er bleibt stehen, wagt kaum zu atmen,
Weitere Kostenlose Bücher