Berndorf, Jacques (Hrsg)
Jacques Berndorf
Sie war siebenundzwanzig, und ihre Mutter hatte erklärt: »Also, in deinem Alter noch streng Single zu sein, ist ziemlich riskant. Und du sagst, du würdest auch gern Kinder haben. Ja, nun, wo sind sie denn, die Kinder?«
»Sie werden schon kommen!« versicherte Gerlinde. »Gut Ding will Weile haben, sagst du doch immer.« Und dazu lächelte sie versonnen und hatte ein ganz weiches Gesicht wie eine Madonna.
»Das sagst du so leichtfertig«, entgegnete ihre Mutter. »Aber nichts passiert. Und wenn ich an die armen Mauerblümchen hier im Dorf denke, wird mir ganz schlecht. Du hast ein eigenes Geschäft in Daun, du kriegst dieses Haus hier, du bist eine richtig gute Partie. Aber du schlägst allen ins Gesicht, die sich um dich bemühen. Neulich mit dem Gerd war es doch dasselbe. Erst rennt er dir die Bude ein, dann triffst du ihn drei- viermal, dann kommt er nicht mehr. Wieso denn das, wenn er dich unbedingt haben wollte?«
»Na ja, eigentlich wollte er mir bloß unter den Rock fassen. Und das ist ja ein bisschen wenig, oder? Ich habe ihn zweidreimal fassen lassen, und dann ging bei ihm schon die Post ab. Und ich lag da und hab die Sterne gezählt. Er ist einfach ein Arsch, verstehst du, er kann nicht denken, er hat überhaupt keine Fantasie, er ist ein völlig dummdreister, schief gewickelter Macho. Von der Sorte kann ich jeden Tag drei zum Frühstück haben. Aber so was heiratet man doch nicht.«
»Wie du redest!«
»Tja, Mama, so ist das heute. Diese Gesellschaft ist genauso dämlich, wie sie sich gibt. Und das ist auch in der Eifel so, oder hältst du das hier für den letzten Hort irdischer Intelligenz?«
Manchmal war sie wirklich geradezu bösartig. Ihr Vater bemerkte zuweilen: »Sie hat eine bösartige Schnauze!«
»Kindchen, Kindchen, wenn das nicht irgendwann mal schief geht.«
Das war jetzt die zweihundertsiebzigste Auflage desselben Themas, und Gerlinde konnte es nicht mehr hören.
Außerdem dachte sie an Thomas aus Hillesheim, und da war die quengelige Mutter nur im Weg. Thomas war das pralle Leben.
Gerlinde ging also in ihre Wohnung im ersten Stock und wählte das neue Dunkelblaue aus. Das würde Thomas hoffentlich den Atem nehmen und ihm ordentlich einheizen. Ich liebe diese Fetzen! dachte sie inbrünstig. Und ich liebe diese Fetzen umso mehr, als ich daran denken muss, wie er sich beim Anblick dieser Fetzen vorbereitet. Wow! Das Leben war im Augenblick ganz wunderbar.
Sie trafen sich auf dem schmalen Wirtschaftsweg zwischen Loogh und Stroheich. Thomas kam mit seinem rostigen Golf von Stroheich her, parkte in einem Waldweg und kam ganz langsam auf sie zu. Sie hatte das Cabrio in einem anderen Weg abgestellt, und sie sah unglaublich gut aus in der weißen Bluse, dem hellblauen geblümten Rock und den langen blonden Haaren.
Thomas dachte verwirrt: Sie wirkt wie ein Geschenk. Mein Gott, ist das eine heiße Type!
Dann sagte er mit ganz trockenem Mund: »Grüß dich!«. Und weil sie nichts sagte, sondern ihn nur anstrahlte, setzte er hinzu: »Du siehst unglaublich gut aus! Wieso habe ich dich nicht früher kennen gelernt?«
»Das weiß ich auch nicht«, murmelte sie. Er war wahrscheinlich über einen Meter achtzig groß, er war schlank, er hatte einen Dreitagebart, er hatte lange, empfindsame Hände, und sie wusste schon, wie diese Hände sich anfühlten. Und er roch gut, er roch ständig nach Mann. Zweimal hatte sie das schon erleben dürfen.
»Gehen wir ein bisschen?« fragte sie.
»Oh ja, natürlich. Wohin? In den Wald? Oder da runter in die Wiesen?«
»In die Wiesen möchte ich gern«, sagte sie. »Sie sind nicht gemäht, sie sind voller wilder Blumen. Was hast du alles getrieben, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?«
»Nichts Besonderes« erwiderte er. »Halt gearbeitet, wie man das so macht. Von morgens früh bis spätabends. Dann geschlafen, weil ich kaputt war. Und ich habe verdammt oft an dich gedacht.«
»Das geht mir mit dir genauso«, sagte sie und hatte einen trockenen Mund.
Der Wiesenweg endete, weil er zugewuchert war. Es gab violette Blumen, dunkelrote, hellgelbe, blaue Glockenblumen, es gab die ganz dunkle Teufelskralle. Und es lag ein leichter Duft in der Luft von all den Herrlichkeiten.
»Was treibst du so, wenn du allein bist?« fragte sie.
»Tja, was treibe ich?« wiederholte er. »Ich denke, ich bin ein ganz normaler Mensch. Mit all den Sehnsüchten und Träumen, die man so hat.«
»Was hat man denn für Sehnsüchte?«
»Na ja, den Glauben,
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