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Berndorf, Jacques (Hrsg)

Berndorf, Jacques (Hrsg)

Titel: Berndorf, Jacques (Hrsg) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatort Eifel
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meine Mutter.«

Frau Scholz feiert Jubiläum
von Sunil Mann
    Sie haben es vergessen, eindeutig. Missmutig lässt du den Blick nochmals durch das Großraumbüro wandern. Du weißt, dass sie dich nicht ausstehen können. »Jungfer Scholz« nennen sie dich hinter deinem Rücken oder an weniger guten Tagen »die Drachenlady«. Die Flittchen mit ihren zu kurzen Röckchen, den zu roten Lippen, den zu hohen Stimmchen, die Kerle, die in den Pausen breitbeinig vor dem Eingang stehen und rauchen, wenigstens müssen sie jetzt raus dazu, ihr lautes, brünstiges Gelächter hast du noch nie gemocht.
    Und er. Sitzt in seinem Büro, dem einzigen Raum, der vom Rest abgetrennt ist, und vertieft sich in irgendwelche Akten. Du siehst ihn durch die Scheibe an, er hebt den Kopf, zuckt zusammen, errötet, senkt den Blick, es ist ihm peinlich, er weicht dir aus, seit dem Wochenende in Daun. Vielleicht hättest du die E-Mail nicht schreiben sollen, doch jetzt ist es zu spät. Er hat sie bestimmt schon gelesen.
    Wehmütig betrachtest du den massiven Briefbeschwerer, den dir der alte Eichenberger zum zwanzigsten geschenkt hat und der neben deinem Computer auf dem Schreibtisch thront, eine Nachbildung des Taj Mahal aus weißem Marmor, die er von einer Geschäftsreise nach Indien mitgebracht hat. Mehr hat für dich nie drin gelegen, da hat seine Frau schon aufgepasst. Aber immerhin hat er dein Jubiläum nicht vergessen. Eine Eistorte hat er spendiert und nach Büroschluss Sekt und Lachshäppchen für alle. Eine wohlverdiente Anerkennung für deine Dienste als Direktionssekretärin, fandest du.
    Wenn einer weiß, wie der Laden läuft, dann bist du es, du hast alles im Griff, das weiß auch dein neuer Chef, der junge Eichenberger, der mit seinen dreiundfünfzig Jahren eigentlich gar nicht mehr so jung ist. Klein ist er, kleiner als du, und ein wenig dicklich, aber was soil’s. Und unbeholfen ist er, mein Gott, ohne dich wäre der verloren, und er weiß das auch, deine energische, zielstrebige Art tut ihm gut, täte ihm auch privat gut, das hast du ihm alles geschrieben und noch viel mehr.
    Und jetzt hat er das Jubiläum vergessen. Vor fünfundzwanzig Jahren standest du zum ersten Mal hier drin, eingeschüchtert, doch voller Ambitionen, hast dich im Verlauf der Jahre bis zum Chef heran gearbeitet, und als der vor lauter Bedrängnis starb, hast du dich bei seinem Nachfolger und Sohn unentbehrlich gemacht, und jetzt gibt’s nicht mal einen Blumenstrauß, keinen Kuchen, keine zusätzlichen Urlaubstage. Nichts.
    Du solltest dich um deine Arbeit kümmern, doch heute will dir das nicht gelingen, da ist diese Stimme in deinem Kopf, die dich an das Wochenende erinnert, die Tagung in Daun, zu der er dich spontan gebeten hat mitzukommen, nachdem er die irrtümliche und nicht mehr rückgängig zu machende Doppelbuchung im Hotel bemerkt hat. Der abendliche Ausflug im Firmenwagen, der Spaziergang am Immerather Maar, es war romantisch, der Sonnenuntergang, die ersten Sterne am Firmament, danach Wildschwein-Sauerbraten und Semmelknödel, eine Flasche vom lokalen Spätburgunder dazu, deine Rechnung ging auf, und als er zum ersten Mal »Rita« zu dir sagte, ergriffst du entschlossen seine Hand und zogst ihn an dich. Endlich, dachtest du, endlich.
    »Diskret«, sagte er am nächsten Morgen, wolle er es angehen, und das passte dir überhaupt nicht in den Kram, du wolltest, dass es alle wissen, alle, die rotgelippten Flittchen, die rauchenden Kerle in ihren hellblauen Hemden, sie sollten wissen, dass du keine alte Jungfer warst. Dass du bald die Frau des Chefs sein würdest und entsprechend Respekt verdientest.
    Doch stattdessen ging er es eben diskret an. Vermied jeden Körperkontakt, so sehr du dich auch über ihn beugtest, wenn du ihm Unterlagen auf den Schreibtisch legtest, zog seine Hand zurück, wenn du sie wie zufällig berührtest, sah dir kaum noch in die Augen. Errötete stattdessen und stammelte, schwitzte, manchmal widerte er dich richtiggehend an.
    Und dann fing vor ein paar Tagen das mit Moni an. Vierundzwanzig Jahre und knapp doppelt so viele Kilos, sie könnte deinen linken Strumpf als Schlafsack benutzen. Diese Moni stöckelte plötzlich auffallend häufig in sein Büro und flüsterte vertraulich mit ihm, sie sahen dich manchmal dabei an, dann kicherte die Moni, und der Eichenberger kriegte rote Ohren, sie telefonierte für ihn, und dann kicherten sie wieder, es machte dich wahnsinnig, die Wut begann in dir zu lodern, eine wilde, unbeherrschte Wut,

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