Berndorf, Jacques (Hrsg)
Gastgeber ...«
»Sie haben unser Prospektmaterial aufmerksam studiert. ›Die eigenwillige und urwüchsige Landschaft zu entdecken ist ein Erlebnis.‹ Hat Ihnen der Makler auch versprochen, dass Sie keine Nachbarn haben werden, und dass Sie sich unbeobachtet fühlen können?«
»Ja natürlich, das ist schließlich ein gutes Argument, um hier zu wohnen.«
»Sie sind nicht ganz freiwillig hier, oder?«
»Natürlich bin ich freiwillig hier!«
»Na ja«, Sander lächelte, »im Golfclub in Frankfurt sieht man Sie im Moment nicht so gerne.«
»Was wollen Sie von mir?« Ehrmann konnte sich nicht erklären, was das Ganze sollte.
»Von Ihnen persönlich ... nichts, obwohl ... die Finanzkrise kennt nicht nur Verlierer!«
»Niemand kann mir vorwerfen, dass ich Geld verdient habe.«
»Nein, aber Sie haben im großen Stil abgeräumt. Allein Ihre Abfindung als Manager für einen Fonds, der Tausende in den Ruin getrieben hat, war siebenstellig.«
»Es war alles absolut legal.«
»Trotzdem ist es besser abzutauchen, bis sich die Wogen ein wenig geglättet haben.«
»Ich gebe Ihnen einen Scheck über zehntausend, wenn Sie sofort verschwinden.«
Diesmal lächelte Sander nur, ihre Vorstellungen schienen sich anzunähern. »Unangenehm, so ein Artikel ... Demonstranten vor dem Haus, zerstochene Reifen ...«
»Zwanzigtausend!«
»Wenn es nur um mich ginge, kein Problem. Aber hier in der Eifel halten wir zusammen. Und der Kindergarten im Ort ist stark renovierungsbedürftig ...«
»Was geht mich Ihr Kindergarten an!«
»Vielleicht denken Sie mal an Nachwuchs!«
»Denke ich nicht. Lassen Sie mich in Ruhe. Ich brauche niemanden!«
»Jetzt stellen Sie sich nur mal vor, Sie hätten eine verstopfte Toilette, und der Klempner kommt nicht. Wochenlang nicht. Monatelang nicht. Also ich fände das unangenehm.«
»Wieso sollte der Klempner nicht kommen?«
»War schon jemand wegen der Fernsehantenne da?«
»Nein, wieso?«
»Ja, das wird dauern. Ich habe gesehen, der Müll wurde auch nicht abgeholt.«
»Seit Wochen nicht!«
»Ja, das geht hier vielen Neubürgern so, die in der Finanzkrise hierher gezogen sind.«
»Sie wollen sagen, die holen den Müll mit Absicht nicht ab?«
»Glauben Sie, der Händler bringt Ihnen keine Getränke, weil Sie so weit weg wohnen? Und dass Sie keinen Termin beim Friseur kriegen, halten Sie doch nicht etwa für Zufall?«
Ehrmann sagte kein Wort. Er saß auf dem Sofa, und man sah, dass es in ihm arbeitete. »Meine Putzfrau hat gesagt ...«
»Ja, die Agnes!« Sander schmunzelte, »Sie weiß leider nicht, was ein Investmentfonds ist«
»Unterstehen Sie sich, sie aufzuhetzen. Ich brauche sie hier!«
»Wir sind eine große Familie, Herr Ehrmann. Da bahnen sich wichtige Informationen mit großer Kraft ihren Weg. In diesen rauen Gegenden sollte man ein Zeichen setzen.«
»Verlassen Sie mein Haus!«
»Stellen Sie sich vor, Sie sind auf
Essen auf Rädern
angewiesen, und zu Ihnen kommt niemand. Der Apotheker kann Ihre Medikamente nicht auftreiben. Das passiert hier oft, wenn ein Fremder etwas bestellt. Auch mit Zahnschmerzen möchte man nicht stundenlang fahren, ehe man einen Arzt findet, der Fremde behandelt. Selbst die Feuerwehr ist hier sehr wählerisch.«
»Ich werde schon für mein Recht kämpfen!«
»Schlechtes Stichwort. Auch ein Rechtsanwalt, der Fremde vertritt, ist hier schwer zu finden.«
»Was ist, wenn ich nicht zahle?«
»Auch eine Möglichkeit. Der Kollege für das Interview im Radio kommt übermorgen, und der Schneeräumdienst kommt dieses Jahr gar nicht mehr. Ihre Autowerkstatt ist leider überlastet.«
Ehrmann schaute grimmig vor sich hin und schwieg.
»Seien Sie froh, dass ein Kollege von Ihnen die Schule schon hat renovieren lassen. Das war richtig teuer. Aber überlegen Sie mal: Vielleicht wollen Sie ja gar nicht in der Eifel bleiben?«
»Wie viel kostet mich der Kindergarten?«
»Wundern Sie sich aber nicht, wenn Sie für das Haus nicht mehr den Preis bekommen, den Sie dafür bezahlt haben. Die Familie des Maklers ist seit vielen Jahrzehnten hier ansässig.« Sander stand auf und ging Richtung Wohnungstür, ohne sich umzudrehen. »Übermorgen bekommen Sie den Kostenvoranschlag für den Kindergarten! Eine Spendenquittung gibt es leider nicht. Ihr zuständiger Finanzbeamter ist von hier.«
Sander öffnete die Haustür, grüßte noch einmal kurz und verschwand dann über den schmalen Weg Richtung Straße.
Ehrmann sah ihm nach. Die grüne Landschaft war wie von einem
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