Berndorf, Jacques (Hrsg)
Absperrung auf einem glitschigen Stein am Ufer, hielt einen Zweig wie eine Angelrute ins Wasser und beugte sich weit vor.
Ah, da ist ja der Tulpenfresser in seiner lahmen Kutsche wieder hinter mir. Was ist denn das?! Das gibt’s doch gar nicht! Was fällt dem ein, mich hier zu überholen? Lebensgefährlich, solchen Leuten sollte man den Führerschein entziehen! Und genützt hat es ihm rein gar nichts. Der Holzlaster ist immer noch vor dem Porsche. Verdammt, die Zeit wird jetzt echt knapp
.
Der Drang, dieses elende Kind ins Wasser zu werfen, um das Problem ein und für allemal aus der Welt zu schaffen, war übermächtig. Ich erschrak vor diesem Gedanken, dessen Ausführung mir den Ausblick auf ein ganz anderes Gitter eingebracht hätte. Gerade um den Jungen vor dem Tod durch Ertrinken zu bewahren, hatten wir doch dieses Bollwerk errichtet! Ganz hinten in meinem Kopf arbeitete es weiter: Wenn der Junge verschwunden ist, muss ich mich nicht mehr um ihn ängstigen. Wenn er woanders zu Schaden kommt, kann er nicht mehr in meinem Teich ertrinken. Aber noch war das nur ein ganz diffuser Gedanke.
Ich versuchte es ein weiteres Mal im Guten und bot den Eltern an, ihrem Sohn das Schwimmen beizubringen. Empört wiesen sie mein Ansinnen ab, mir unterschwellig gar unsittliche Absichten unterstellend. Ich drohte an, sie wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht anzuzeigen und ihnen das Jugendamt auf den Hals zu hetzen. Meine Frau traute sich danach nur noch aus dem Haus, wenn von den Nachbarn niemand zu sehen war. Aus Angst beschimpft oder nicht gegrüßt zu werden. Unser Eheleben litt unter meinem Teich-Krieg mit dem Nachbarsjungen.
Jawoll, das ist gut, der Laster biegt jetzt in Dahlem ab, dann kriegt der Holländer Ohrensausen! Gleich wird’s zweispurig, da kann ich durchstarten!
Ich nahm Urlaub und legte mich auf die Lauer, aber die nächsten beiden Tage tauchte der Junge tatsächlich nicht mehr auf. Nicht etwa, weil die elterliche Aufsicht jetzt funktionierte, wie ich am dritten Tag schmerzlich erfahren musste. Sondern weil sich der kleine Terrorist in den vergangenen Tagen ein Floß gebastelt hatte! Fassungslos starrte ich zum Fenster raus, sah, wie er das aus Zweigen krude zusammengestöpselte Teil über die Umzäunung warf und dann flink wie ein Äffchen einfach über das anderthalb Meter hohe Gitter huschte. Die kriminelle Energie dieses Knaben war grenzenlos. Er schlich sich sogar eines Nachts aus seinem Elternhaus und setzte Schalen voller brennender Teelichter in unser ureigenes Wasser! Von seinem höhnischen Glucksen geweckt, sprang ich aus dem Bett, stürzte in den Garten und versetzte dem Jungen eine solche Ohrfeige, dass er beinahe ins Wasser gestürzt wäre. Ich konnte ihn gerade noch festhalten.
Leider war ich nackt. So schlafe ich nun mal. Aber ich kam gar nicht dazu, das der Nachbarin zu erklären, die mich auf der Suche nach ihrem Sohn plötzlich mit der Taschenlampe anstrahlte. Natürlich war nicht er der Einbrecher, der meinen Teich mit Teelichtern verunstaltete und sich selbst in Lebensgefahr brachte, sondern ich der Kinderschänder, der ihren Sohn an das dunkle Wasser heranlockte!
»Schütte den Teich zu«, flehte mich meine Frau an.
Fünfzigtausend Euro in den Sand setzen? Niemals.
Der Teich müsse weg, beschwor sie mich, sonst würde sie mich verlassen. Sie könne den ganzen Stress nicht mehr ertragen. Sie deutete auf den Teich: »Er oder ich. Er macht uns eh nicht froh.«
Sie hatte recht. Er musste weg. Der ganz und gar nicht froh machende Junge. Der sonst irgendwann in unserem Teich ertrinken und uns damit unglücklich machen würde. Der die Beziehung zur Nachbarschaft empfindlich gestört hatte und eine unfassliche Bedrohung für unser Lebensglück darstellte.
Freie Bahn. Zweispurig, kilometerweit. Herrlich! 120, 150, 180, gleich 200. Der Luxemburger in seinem SUV da ist ja auch recht flott unterwegs. Was denn, der will sich mit mir ein Wettrennen liefern? Kannste haben, Junge! Huui, die Bergabkurve vor Stadtkyll nimmt sich mit 250 ja sensationell!
Ich habe alles gut erwogen; mich auch dem Wort Mord gestellt. Darauf läuft es ja hinaus, obwohl mir das Wort Totschlag besser gefällt: Ich muss um mich schlagen, um das, was ich mir und meiner Frau geschaffen hatte, unser beschauliches Landleben, zu verteidigen.
In einer knappen halben Stunde werde ich meinen Wagen nahe dem Wäldchen halten, das der Junge nach seinem Fußballtraining durchqueren wird. Der Käfig im Kofferraum schliddert
Weitere Kostenlose Bücher