Berndorf, Jacques (Hrsg)
versunken war er in die Laudationes seiner Parteifreunde. Dann stand er auf, ließ sich von dem Engel mit dem langen, blonden Haar, dem er mit schmachtendem Blick das güldene Kleidchen längst ausgezogen hatte, ein weißes Gewand reichen und zog es über.
»Weißt du, Petrus. Beim Thema Moral fällt mir immer wieder mein Bruder ein«, sagte er. »Der hat es bis zum Professor der Philosophie gebracht. Meine Güte, wie oft lagen wir über Kreuz. Der dachte immer nur über das Leben nach, über die Sinnhaftigkeit der Existenz und über das Verlangen nach Moral.«
»Ein guter Mann«, sagte Petrus und nickte anerkennend mit dem Kopf.
»Aber er hat nie verstanden, dass diese Begriffe in der Politik absolut fehl am Platze sind.«
»Stimmt«, entgegnete Petrus. »In dem Punkt ist dein Bruder in der Tat ziemlich naiv. Trotzdem ist er ein kluger Mann, im Gegensatz zu dir.«
Rodenstrauch-Scholtes ließ sich erneut auf dem Schemel nieder, schlug die penibel rasierten Beine übereinander und kreuzte die Arme trotzig vor der Brust. »Was soll das, worauf spielst du an?«, fragte er.
»Darauf zum Beispiel, dass du dich während einer Podiumsdiskussion einmal fürchterlich blamiert hast, weil du steif und fest behauptetest, Landshut sei eine Nachbarstadt von Mogadishu. Wie peinlich! Fehlte nur noch, du hättest behauptet, nicht Nero, sondern Robert de Niro habe Rom anzünden lassen.«
Hans-Werner Rodenstrauch-Scholtes kratzte sich am Kopf, verzog den Mund und schwieg. Doch nur wenige Sekunden. Dann stand er auf, nahm seinen gewohnt breitbeinigen Stand ein, der ihn in dem langen, weißen Gewand ziemlich lächerlich aussehen ließ, und rief: »Da war ich gestresst. Das war mitten im Wahlkampf. Außerdem hatten wir alle etwas getrunken. Und trotzdem bin ich Bundestagsabgeordneter geworden.«
»Ja, das bist du. Wie so viele. Ich habe es genau verfolgt, mein lieber Hans-Werner«, bestätigte Petrus. Du hattest nämlich die einmalige Gelegenheit, dem damaligen Regierungspräsidenten einen Gefallen zu tun, wie man das nennt. Also überredetest du im Suff den Landrat, den als einflussreichen Anwalt tätigen Schwipp-Schwager des Regierungspräsidenten für das Bundesverdienstkreuz vorzuschlagen. Mit dessen Frau nämlich hatte der RP eine ziemlich heftige Affäre, was in dem Juristen übelste Rachegelüste ausgelöst hatte. Das Überreichen des Bundesverdienstkreuzes durch den Ministerpräsidenten – eine kleine Wiedergutmachung, wie man dies in euren Kreisen nennt – würde den Zorn des Schwippschwagers lindern. Und tatsächlich. Der Plan ging auf. Denn fortan schwieg der Jurist und gab sich lammfromm, sodass der Herr Regierungspräsident ohne Skandal davonkam und in Ruhe weiterregieren konnte. Im Gegenzug bereitete der RP dir den Weg durch die Gremien und Instanzen zum Einzug in den Bundestag.«
»So geht eben Politik«, gab Rodenstrauch-Scholtes völlig unbeeindruckt zurück und grinste.
»Ich weiß, mein Lieber, ich weiß«, antwortete Petrus, der nun tief durchatmen musste und die Augen in die Weite des Himmels schweifen ließ. »Ich sehe es ja jeden Tag. Von hier oben hat man einen wunderbaren Überblick.«
Kanadischer Charme
von K LAUS S TICKELBROECK
Mein Blick strich durch die dunklen Fensterrahmen dieser kleinen, abgelegenen Hütte nach draußen über die raue, unzerstörte Landschaft des Hohen Venn. Verdammt, hier wollte ich nicht tot überm Zaun hängen. Auch im wörtlichen Sinne nicht. Deshalb war ich ja hier.
»So, lieber Dirk, Wurst mit Senf aus Monschau. Ich habe mir sagen lassen, dass Gott in der Eifel war, als er den Senf erfand.« Er knipste mir ein Auge.
Ich grinste unverbindlich. Von meinem Cousin wusste ich nicht viel. Mark hatte seine Brötchen in den letzten gut zwanzig Jahren in Toronto verdient. Als sehr erfolgreicher Fotograf. Im Ersten lief neulich sogar eine Reportage über ihn und seine »aussagekräftigen« Portraitfotos. Unrasierte, kantige Männergesichter und magere Frauen mit geprügeltem Blick.
Kunst eben.
»Was verschlägt dich nach all den Jahren aus dem fernen Kanada hierhin in die Eifel?« Er schob sich ein Stück Wurst zwischen die Zähne.
»Ich brauchte dringend eine Luftveränderung, musste da raus. Zumindest für eine Weile bin ich hier in der Eifel gut aufgehoben. Ich werde wohl einige Zeit als Fremder, als Zugereister durchgehen, aber ich habe schon ein paar sehr interessante Menschen kennen gelernt.«
Ich grinste innerlich. Auf der Anrichte im Bad stand ein teures
Weitere Kostenlose Bücher