Berndorf, Jacques (Hrsg)
Vielleicht sogar Bargeld, dachte er, und unwillkürlich schlich sich ein Grinsen auf sein Gesicht.
»Was gibt’s zu lachen, Bubi?« Die Alte gegenüber richtete sich zu ihrer vollen Größe von knapp einsfünfzig in jede Richtung auf und guckte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Soll ich die ganze Arbeit allein machen?«
Joey fluchte leise, atmete tief ein, hielt die Luft an und bückte sich. Bald werde ich dich nicht mehr ertragen müssen, du stinkendes Luder, dachte er.
Schon seit einigen Wochen, seit er den Scheißjob in der Hülsen-Fabrik in Heimersheim bekommen hatte, beobachtete er die Villa auf seinem Weg zur Arbeit und auf dem Heimweg. Unauffällig natürlich. Er war schließlich Profi. Na ja, zumindest fast. Zwei, drei Mal hatte er bei Einbrüchen Schmiere gestanden, und sein Anteil war dementsprechend gering ausgefallen. Diesen Coup würde er allein durchziehen, und die ganze Beute wäre sein.
Das Haus lag am Johannisberg, ein wenig abseits von der Straße in einem parkähnlichen Garten, mindestens dreißig Meter von den Nachbarn zu beiden Seiten entfernt. Joey schätzte es auf über hundert Jahre, aber es war gut in Schuss. Irgendjemand schien eine Menge Geld in den guten Zustand investiert zu haben.
Der wird demnächst in meinen guten Zustand investieren, dachte Joey und spürte so etwas wie Vorfreude in sich aufsteigen. So gut hatte er sich lange nicht gefühlt, Rückenschmerzen hin oder her. Wenn er richtig Glück hatte, und davon war er fest überzeugt, würde er sein Loser-Leben gründlich ändern. Ein neuer Anzug, in dem er gut genug aussah, um einen anständigen Job zu bekommen, ein Auto, vielleicht sogar eine Freundin, irgendwas schnuckeliges Dunkelhaariges mit üppigen Formen.
Plötzlich spürte er den missbilligenden Blick seiner Knoblauch-Kollegin, schüttelte den schönen Tagtraum ab und arbeitete weiter.
Das Haus sah jeden Tag gleich aus, völlig unverändert. Die Rollläden an der Vorderfront waren bis auf eine Handbreit heruntergelassen. Selbst an düsteren Tagen hatte Joey keinen Lichtschein bemerkt. Am vergangenen Wochenende war er frühmorgens, als alle Nachbarn noch schliefen, über die niedrige Mauer gesprungen, hatte sich zwischen den Büschen versteckt und das Haus beobachtet, bis es Nacht wurde. Keine Bewegung, kein Geräusch, kein Licht. Niemand, der klingelte oder klopfte. Sonntag dasselbe.
Sein ungemütlicher Beobachtungsposten war zumindest teilweise für seine Rückenschmerzen verantwortlich, aber Joey war jetzt sicher, dass das Haus zur Zeit leer stand. Möglich, dass die reichen Säcke, denen es gehörte, im Urlaub waren oder die Hütte nur als gelegentliches Domizil nutzten. Heute Abend würde er einsteigen, die Bude ausräumen und der Scheißfabrik für immer den Rücken kehren. Allerdings erst nach ein paar Tagen, damit kein Verdacht auf ihn fiel. Niemand wusste von seinem Plan, und so konnte auch niemand etwas ausplaudern. Der Bruch würde ganz glatt über die Bühne gehen.
Joey sah glücklichen Zeiten entgegen.
Im Fernseher lief Agatha Christies
Mord mit doppeltem Boden
. Carmen ließ sich in die Federkissen zurücksinken, die sie reichlich auf ihrem breiten Bett verteilt hatte, nippte hin und wieder an einem Glas Wein und knabberte Kekse. Eigentlich gelüstete es sie mehr nach Schokolade, aber die hatte sie bereits aufgegessen. Sie würde Elisabeth anweisen, beim nächsten Einkauf die doppelte Menge mitzubringen. Zum Glück kann das süße Zeug meiner Figur nichts anhaben, dachte sie und griff nach einem weiteren Keks.
Seit Peter gestorben war, hatte sie das Haus nicht mehr verlassen. Zuerst war sie vor Trauer wie gelähmt gewesen, hatte stundenlang geweint und völlig erschöpft mehrere Tage im Bett verbracht. Dann, nach einem halben Jahr etwa, hatte sie sich an dieses Leben voller Lethargie und Schlaf, nur unterbrochen von Essen und Fernsehen, so sehr gewöhnt, dass sie es nicht mehr missen wollte. Arbeiten musste sie zum Glück nicht. Der gute Peter hatte ihr reichlich Geld hinterlassen und dieses wundervolle Haus, das alles beherbergte, was sie sich wünschte. Fast alles. Wehmütig lächelte sie Peters Foto an, das direkt neben ihr auf dem Nachttisch stand. Er fehlte ihr sehr, aber wenn sie es recht bedachte, hatten sie zu seinen Lebzeiten auch nicht viel mehr gemacht als jetzt, nur mit dem Unterschied, dass sie es nun allein tat und Peter nur aus dem Bilderrahmen zusah.
Carmen prostete seinem Konterfei zu. »Ich vermisse dich, mein Schatz.«
Der
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