Berndorf, Jacques (Hrsg)
hatte ihn schon den ganzen Abend dabei beobachtet, wie er Susanne angetanzt, ihr Getränke ausgegeben hatte. Sie hatte sich noch nie so lange mit jemandem unterhalten, noch nie! Huppertz‘ Josef war keine Hilfe gewesen. »Irgendson Computerfritze ausser Stadt« hatte er gelallt, und: »Gib ma noch eins aufs Haus!« Er gab – und nahm selbst reichlich. Bei
Summer of 69
war es schließlich passiert. Susanne hatte die Hand des Typen genommen und mit ihm den Saal verlassen. Sie ging nie so früh, gehörte sonst immer zu den Letzten. Erst hatte er abgewartet, drei Lieder oder vier. Die Zeit hatte für zwei weitere Jägermeister gereicht. Und dafür, dass er seinen letzten Mut zusammennehmen konnte. Es war auch gestern Nacht schon stickig gewesen. Er war recht planlos um Saal und Hof herum durch das Dunkel gestreunt, mit wenig Hoffnung, etwas in Erfahrung bringen zu können. Aber er hatte Gewissheit haben wollen. Dieses unbekannte, beißende, brennende Gefühl im Magen hatte ihn nach draußen getrieben, und er hatte mit eigenen Augen sehen wollen, was er sich nicht auszumalen gewagt hatte. Nachdem er eine vorbeilaufende Hofkatze getreten hatte, war er sich plötzlich sicher gewesen, etwas aus Richtung des Heuschobers gehört zu haben. Durch die Bässe und das Gelächter aus dem Saal hindurch. Die schwere Eisenkette am Tor des Schobers hatte geklirrt. Die Reparatur des verrosteten Vorhängeschlosses hatte er eigentlich heute erledigen wollen.
Der Besen war krachend auf den Holzfußboden gefallen. Er selbst war mitten im zusammengefegten Dreck zusammengebrochen und hatte begonnen zu weinen wie ein Kind. Seine Brust schmerzte, die Augen brannten. Er musste an seine Mama denken. Und an Susanne.
Sie und dieser Typ hatten ihn lange Zeit nicht bemerkt gestern Nacht. Er war sich schäbig vorgekommen, aber seine Eifersucht war so viel stärker. Nur zwei, drei gut gezielte Fausthiebe hatten ausgereicht, um den überrumpelten Schönling von ihrem nackten Körper zu trennen. Alle Schläge, die daraufhin folgten, waren nicht mehr dazu da gewesen, ihn von ihr zu lösen. Sie waren Ausdruck seiner ohnmächtigen Wut – und all seiner Liebe zu ihr. Doch was dann kam, hatte ihn vollends um den Verstand gebracht. Vielleicht war es das Bier. Vielleicht auch, weil er einfach keine Erfahrung in solchen Dingen hatte. Sie schlug auf ihn ein. Sie schrie. Er solle aufhören. Warum er das tue. Ihre nackten Brüste pressten sich an seinen Rücken, als er auf dem Typ saß und ihm die Zähne einschlug. Ihre Fingernägel gruben sich in seine Schultern. Warum war sie nicht dankbar, dass er sie vor einem Fehler bewahrt hatte? Warum sah sie nicht, dass er das hier für sie tat? Sie war so neu. Kein Lächeln, keine herumgeworfenen Haare, nur Wut. Und sie war so laut! Die Mistgabel hatte nicht weit entfernt im Heu gesteckt. In diesem Moment hatte er keine andere Wahl. Alles wurde rot und anders.
Und jetzt hockte er hier auf dem Boden. Nahe bei der Stelle, an der eben noch einer der Lautsprechertürme gestanden hatte. Es konnte nicht mehr lange dauern. Am frühen Morgen hatte er noch ein wenig Heu nachgelegt, aber irgendwann würde es soweit sein. Er war ja nicht dumm. Viel zu heiß draußen. Siebenundvierzig – er würde Zeit seines Lebens in irgendeinem Gefängnishof immer wieder siebenundvierzig Schritte im Kreis gehen. Seine ganz eigene Art der Buße. Vorher würde er vielleicht noch ein, zweimal mit ihr schlafen. Zum Abschied.
Glückliche Zeiten
von E RIKA K ROELL
Die Luft in der Fabrikhalle war dumpf und stickig. Nicht nur Joey litt darunter, auch die Kollegen, die stumm ihre Arbeit taten und sich zu keiner Unterhaltung aufraffen konnten. Joeys Rücken schmerzte, als er sich hinunterbeugte und mit beiden Händen Papprollen vom Fließband griff, in einen offenen Karton neben sich stopfte und während des gesamten Vorgangs versuchte, nicht zu atmen, um die grässliche Knoblauchwolke der älteren Frau direkt gegenüber nicht zu inhalieren. Er richtete sich auf, holte tief Luft und streckte den Rücken. Gewöhnlich schaffte er es, zwei Packvorgänge lang den Atem anzuhalten, aber der Sauerstoff-mangel und die Rückenschmerzen setzten ihm heute heftig zu, und er bekam ohnehin kaum Luft.
Er würde nicht mehr viel Zeit an diesem Band verbringen müssen, das stand so gut wie fest. Heute Abend würde er sich die Villa vorknöpfen, und mit ein bisschen Glück würde er genug Wertsachen rausschaffen, um sich eine Zeitlang über Wasser zu halten.
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