Berndorf, Jacques (Hrsg)
einfach ausrauben lassen. Das könnte eine gefährliche Störung ihres gemütlichen Lebens darstellen. Sachte zog sie die Schlafzimmertür auf und lauschte ins Haus hinein. Aus dem Erdgeschoss drangen leises Scharren und Rascheln zu ihr herauf. Offenbar durchwühlte der Einbrecher gerade das Wohnzimmer. Dann hörte sie Schritte, erst als Klacken auf den Dielenfliesen, dann als leises, dumpfes Stampfen auf der Treppe. Schnell zog sie sich hinter die Tür zurück und machte sich bereit.
Die Schritte erreichten jetzt das Schlafzimmer, und die Tür wurde langsam aufgeschoben. Carmen hielt den Atem an, als ein dunkler Schatten zwischen sie und das Fenster trat. Dann stürzte sie sich auf ihn.
Scheiße, es ist doch jemand da, konnte Joey gerade noch denken, als eine schwere Hand sich auf seinen Mund und ein mächtiger Arm sich um seinen Hals legte und ihm die Luft abdrückte.
Klatsch, klatsch!
Zwei heftige Ohrfeigen zerrten Joey aus seiner Bewusstlosigkeit zurück ins Leben. Er versuchte, zu atmen, doch irgendetwas verschloss ihm den Mund. Auch seine Hände waren aus irgendeinem Grund nicht zu gebrauchen.
»Da bist du ja wieder, Schätzchen«, hörte er eine Frauenstimme sagen und öffnete zwinkernd die Augen. Im schwachen Schein einer Nachttischlampe erblickte Joey die fetteste Frau, die er je gesehen hatte. Dunkles, strähniges Haar umrahmte ihr rundes Gesicht, in dem die Augen zu kleinen Schlitzen zusammengepresst wurden. Kinn, Kinn und Kinn gingen nahtlos in den Hals und der wiederum in Busen und Bauch über, wobei der Umfang sich von Station zu Station in erschreckender Weise vergrößerte. Sie trug irgendetwas Geblümtes, was möglicherweise einmal zwei Bettbezüge gewesen waren. Ihre Arme waren so dick wie seine Oberschenkel, und an ihrem Ende erblickte er zwei große runde Hände, die mit einem Schlag ein Wildschwein hätten töten können.
»Was soll das?«, wollte er sagen, aber heraus kam nur ein »Hmhmhm«. Sein Mund war mit Klebeband verschlossen. Auch seine Hand-und Fußgelenke schienen damit gefesselt zu sein. Er konnte sich kaum rühren.
»Na, du bist ja ein ganz Süßer«, schnurrte Carmen und streichelte mit ihren Pranken über sein Gesicht. Ihr Blick streifte über seinen Körper, und was sie sah, schien ihr zu gefallen. »Wenn du brav bist und nicht schreist, nehme ich das Klebeband von deinem Mund. Was meinst du?«
Joey nickte so rasch, dass Carmen misstrauisch nachschob: »Aber nicht schreien. Diese Hände können dich schneller ins Jenseits befördern, als du Mama sagen kannst.« Dabei drehte sie ihre Patschhändchen vor seinen Augen hin und her. Joey nickte wieder, diesmal langsamer.
Mit einem Ruck riss Carmen das Klebeband von Joeys Mund, und ihm entfuhr ein unwillkürlicher Schmerzensschrei. Sofort schoss Carmens Hand hoch und erstickte jeden Laut. Joey nickte schnell, und Carmen ließ ihn tief durchatmen. Vom Nachttisch nahm sie ein Weinglas und hielt es vorsichtig an seine Lippen. »Trink erst mal einen Schluck«, sagte sie in mütterlichem Ton.
Joey gehorchte. Der Wein schmeckte schal. »Was wollen Sie von mir?«, brachte er schließlich mit zittriger Stimme hervor.
Carmen runzelte die Stirn. »Ich von dir? Wenn mich nicht alles täuscht, bist du zu mir gekommen, nicht umgekehrt.« Tadelnd schüttelte sie den Kopf und schnalzte mit der Zunge. Ihre Kinne wackelten bedrohlich. »Die richtige Frage wäre also: Was willst du von mir?«
Einen kurzen Augenblick lang erwog Joey, irgendeine Geschichte zu erzählen wie: zufällig durch das Fenster ins Haus gefallen, obdachlos oder etwas Rührseliges wie: ein krankes Kind oder eine alte, hungernde Mutter. Doch er wusste, dass sie ihm all das nicht abnehmen würde. Vermutlich hatte sie längst seinen Rucksack durchsucht und das Geld und sein Werkzeug gefunden. »Ich dachte, das Haus wäre leer und wollte mal nachschauen, was es hier so alles gibt.«
Befriedigt nickte Carmen. »Das ist gut. Immer bei der Wahrheit bleiben. Und wie du siehst, gibt es hier ja tatsächlich eine ganze Menge.« Sie lachte laut auf, erhob sich und schaukelte mit beiden Händen ihre enormen Brüste. Joey fühlte sich ganz schummrig im Kopf.
»Was haben Sie denn jetzt vor? Rufen Sie die Polizei?« Diese Möglichkeit, die ihm eben noch als das schlimmste aller Übel erschienen war, trat nun deutlich zugunsten eines anderen Schicksals zurück. Er würde eigenhändig die Polizei rufen, wenn er könnte.
»Nein, mein Schatz. Pass gut auf, ich will es dir nicht noch einmal
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