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Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Titel: Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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mich aufzurichten oder mein Gewicht auf einen Punkt zu konzentrieren. An der Rückseite des Daches blickte ich in einen kleinen Hof hinunter, der zur Pension führte. Die meisten Zimmerfenster waren mit schmutzigen Stores verhängt, und dahinter gab es kein Anzeichen von Leben. Ich suchte einen Weg nach unten, doch hier gab es kein Abflußrohr, und die Mauer zum angrenzenden Grundstück, dem des Steuerberaters, war zu niedrig, um von Nutzen zu sein. Zum Glück verdeckte die Rückseite der Pension jemandem, der vielleicht zufällig vom Brüten über einigen langweiligen Steuererklärungen aufsah, den Blick auf die Garage. Ich hatte keine andere Wahl, als zu springen, obwohl die Höhe mehr als vier Meter betrug. Ich schaffte es, wenngleich mir noch Minuten später die Fußsohlen stachen, als hätte man sie mit einem Stück Gummischlauch traktiert. Die hintere Tür der Garage war nicht verschlossen und der Raum, bis auf einen Stapel alter Autoreifen, leer. Ich entriegelte die Flügeltür und ließ Inge herein. Dann verschloß ich die Tür. Einen Augenblick standen wir stumm da, blickten einander im Halbdunkel an, und ich war kurz davor, sie zu küssen. Aber es gab bessere Orte, ein hübsches Mädchen zu küssen, als eine nicht mehr benutzte Garage in Kreuzberg.
    Wir überquerten den Hof, und als wir den Hintereingang der Pension erreichten, drückte ich die Klinke herunter. Die Tür war verschlossen.
    «Was nun?» fragte Inge. «Eine Haarnadel? Ein Dietrich? »
    « Etwas in der Art», sagte ich und trat die Tür ein.
    « Sehr subtil», sagte sie und sah zu, wie die Tür sich in den Angeln drehte. «Ich nehme an, Sie sind davon überzeugt, daß niemand da ist.»
    Ich grinste sie an. «Als ich durch den Briefschlitz guckte, sah ich einen Haufen ungeöffneter Post auf der Fußmatte.» Ich trat ein. Sie zögerte so lange, daß ich mich nach ihr umdrehte. «Alles in Ordnung. Keiner da. Hier ist seit einiger Zeit niemand gewesen, darauf wette ich.»
    «Was machen wir dann hier? »
    «Wir schauen uns ein bißchen um, das ist alles.»
    «Sie sagen das so, als wären wir in Grünfelds Warenhaus », sagte sie und folgte mir durch den düsteren Korridor. Das einzige Geräusch war das unserer Schritte, kräftig und entschlossen die meinen, nervös und halb auf Zehenspitzen die ihren.
    Am Ende des Korridors blieb ich stehen und spähte in eine große und überaus übel riechende Küche. Schmutziges Geschirr war unordentlich aufgestapelt. Käse und Fleisch lagen faulend auf dem Küchentisch. Ein aufgedunsenes Insekt summte an meinem Ohr vorbei. Ein Schritt weiter, und der Gestank war überwältigend. Hinter mir hörte ich Inge husten, als müsse sie sich im nächsten Augenblick erbrechen. Ich eilte ans Fenster und stieß es auf. Einen Augenblick standen wir dort und genossen die reine Luft. Als ich anschließend zu Boden blickte, sah ich vor dem Kochherd ein paar Papiere. Eine der Ofentüren stand offen, und ich beugte mich vor, um hineinzusehen. Innen war der Ofen mit verbrannten Papieren gefüllt, die meisten nur mehr Asche; doch hier und da fanden sich Ränder und Ecken, die von den Flammen nicht ganz verzehrt waren.
    «Versuchen Sie mal, ob Sie etwas davon retten können», sagte ich. «Es sieht so aus, als hätte es jemand sehr eilig gehabt, seine Spuren zu verwischen.»
    «Soll ich nach etwas Bestimmtem suchen? »
    «Nach allem, was man noch lesen kann, denke ich.» Ich ging zur Küchentür.
    «Wohin wollen Sie? »
    «Ich werde mich oben mal umsehen.» Ich zeigte auf den Speisenaufzug. «Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie einfach in diesen Schacht.» Sie nickte stumm und streifte die Ärmel hoch.
    In den oberen Räumen, die mit der Eingangstür auf einem Niveau lagen, war das Durcheinander noch größer. Hinter der Rezeption waren die Schubladen geleert und ihr Inhalt auf dem fadenscheinigen Teppich verstreut; und die Türen aller Schränke waren aus den Angeln gerissen. Ich fühlte mich an die Unordnung in Görings Wohnung in der Derfflingerstraße erinnert. Im Schlafzimmer waren die meisten Dielenbretter herausgebrochen, und einige der Kamine waren offensichtlich mit einem Besen abgesucht worden. Dann ging ich ins Speisezimmer. Auf der weißen Tapete war ein Blutspritzer, einer riesigen Schramme ähnlich, und auf dem Teppich ein Blutfleck von der Größe eines Eßtellers. Ich stand auf einem harten Gegenstand, bückte mich und hob ihn auf. Er sah aus wie ein Geschoß, war aber ein mit verkrustetem Blut bedecktes Bleigewicht.

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