Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
Ich wog es in der Hand und schob es dann in meine jackentasche.
Auf dem Sims des Speisenaufzugs entdeckte ich noch mehr Blut. Ich steckte den Kopf in den Schacht, um lnge etwas zuzurufen, und mußte mich sogleich übergeben, so durchdringend war der Verwesungsgestank. In dem Schacht steckte etwas, und es war kein verspätetes Frühstück. Ich bedeckte Nase und Mund mit einem Taschentuch und steckte meinen Kopf noch einmal in den Schacht. Beim Herunterblicken stellte ich fest, daß der Aufzug zwischen den Etagen festsaß. Als ich nach oben spähte, sah ich, daß eines der Seile, die den Aufzug hielten, dort, wo es über die Rolle lief, mit einem Stück Holz festgeklemmt war. Auf dem Sims hokkend, die obere Körperhälfte im Schacht, griff ich nach oben und zog das Stück Holz heraus. Das Seil zischte an meinem Gesicht vorbei und unter mir stürzte der Aufzug mit einem lauten Krachen in die Küche hinunter. Ich hörte lnges entsetzten Schrei; und dann schrie sie wieder, nur daß es diesmal ein lauteres und anhaltendes Schreien war.
Ich flitzte aus dem Eßzimmer die Treppe hinunter ins Erdgeschoß, wo ich sie im Korridor fand, wo sie kraftlos an der Wand außerhalb der Küche lehnte. « Sind Sie in Ordnung? » Sie schluckte laut. « Es ist entsetzlich! »
« Was? » Ich trat durch die Tür. Ich hörte lnge sagen: « Gehen Sie da nicht rein, Bernie.» Doch es war zu spät.
Zur Seite geneigt, saß die Leiche im Aufzug, fötal zusammengekrümmt wie ein Tollkühner, der sich in einem Bierfaß in die Niagarafälle stürzen will. Als ich die Leiche anstarrte, schien ihr Kopf sich zu bewegen, und ich brauchte einen Augenblick, bis mir bewußt wurde, daß er mit Maden bedeckt war, einer schimmernden Maske von Gewürm, das sich in sein geschwärztes Gesicht fraß. Ich schluckte mehrere Male schwer. Abermals schützte ich Mund und Nase und trat vor, um genauer sehen zu können, so nahe, daß ich das leise, raschelnde Geräusch Hunderter von Freßwerkzeugen hören konnte, wie eine sanfte Brise durch feuchte Blätter. Dank meiner spärlichen Kenntnisse in der Gerichtsmedizin wußte ich, daß die Fliegen bald nach Eintritt des Todes ihre Eier nicht nur in die weichen Teile einer Leiche, wie in Augen und Mund, sondern auch in offene Wunden legen. Angesichts der großen Zahl von Maden auf dem oberen Teil des Schädels und der rechten Schläfe war es mehr als wahrscheinlich, daß das Opfer totgeschlagen worden war. Der Kleidung nach war es ein Mann und, wie sich aus der unübersehbaren Qualität seiner Schuhe schließen ließ, ein ziemlich gut betuchter. Ich schob meine Hand in seine rechte Jackettasche und stülpte das Futter nach außen. Etwas Kleingeld und ein paar Papierschnipsel fielen zu Boden, doch ich fand nichts, das ihn hätte identifizieren können. Ich tastete die Gegend um die Brusttasche ab, doch diese schien leer zu sein, und mir war nicht danach zumute, meine Hand zwischen seine Knie und den madenbedeckten Kopf zu quetschen, um mich zu vergewissern. Als ich zum Fenster zurücktrat, um tief einzuatmen, kam mir ein Gedanke.
« Was tun Sie da, Bernie?» Ihre Stimme erschien mir jetzt kräftiger.
« Bleiben Sie, wo Sie sind », rief ich. « Es dauert nicht lange. Ich möchte nur sehen, ob ich feststellen kann, wer unser Freund ist.» Ich hörte sie tief einatmen und dann das Kratzen eines Streichholzes, als sie sich eine Zigarette anzündete. Ich fand eine Küchenschere, kehrte zum Speisenaufzug zurück und schnitt den Jackettärmel am Unterarm des toten Mannes der Länge nach auf. Von der grünlich-rötlichen Färbung der Haut und den marmorierten Adern hob sich deutlich die Tätowierung ab, an seinem Unterarm klebend wie ein großes schwarzes Insekt, das, anstatt sich zusammen mit kleineren Fliegen und Würmern am Kopf zu mästen, beschlossen hatte, allein zu speisen und eine größere Portion Aas zu verzehren. Ich habe nie verstehen können, warum Männer sich tätowieren lassen. Man sollte denken, es gebe Besseres zu tun, als den eigenen Körper zu entstellen.
Andererseits wird es einem dadurch relativ einfach gemacht, wenn man jemanden identifizieren will, und mir kam der Gedanke, die Zeit sei vielleicht nicht mehr fern, wo sich jeder deutsche Bürger einer zwangsweisen Tätowierung würde unterziehen müssen. Doch im Augenblick identifizierte der Reichsadler Gerhard von Greis mit derselben Sicherheit, als hätte ich seinen Parteiausweis und seinen Paß in Händen gehalten.
Inge lugte um die Ecke. «Haben Sie
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