Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
sprach, in ihrem Kopf Gestalt an. Immer mehr davon überzeugt, fuhr sie fort: «Eine Frau, die die Verbindung zu ihrer früheren Existenz auflösen mußte. Eine Frau, die nicht nach Hause gehen und ihre Sachen holen konnte, weil sie dazu keine Zeit hatte. Nein, das kann nicht stimmen. Immerhin hat sie bis Montag abend Zeit. Also fürchtet sie sich vielleicht, heimzukehren, weil dort jemand auf sie warten könnte." Ich nickte zustimmend und wollte den Gedankengang fortspinnen, stellte jedoch fest, daß sie bereits weitergedacht hatte. «Vielleicht", sagte sie, «war diese Frau Pfarrs Geliebte. Diese Eva oder Vera, ich weiß nicht mehr, die von der Polizei gesucht wird."
«Haupthändler mit ihr unter einer Decke? Ja", sagte ich nachdenklich, «das könnte passen. Möglich, daß Pfarr seiner Geliebten den Laufpaß gegeben hat, als er feststellte, daß seine Frau schwanger war. Die Aussicht auf Vaterschaft hat bekanntlich schon manchen Mann zur Vernunft gebracht. Aber das könnte auch die Pläne Haupthändlers vereitelt haben, der seinerseits Ambitionen hatte, was Frau Pfarr anging. Vielleicht taten sich Haupthändler und diese Eva zusammen und beschlossen, die Rolle der gekränkten Geliebten zu spielen - sozusagen als Tandem - und bei diesem Handel ein bißchen Geld rauszuschlagen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Pfarr seiner Geliebten vom Schmuck seiner Frau erzählt hat." Ich trank aus und stand auf.
«Dann ist es möglich, daß Haupthändler Eva irgendwo versteckt. »
«Dann wären wir beim dritten . Das sind mehr, als ich zur Mittagszeit vertrage. Noch eines mehr, und mir wird übel." Ich blickte auf meine Uhr. «Kommen Sie, wir können unterwegs weiter darüber nachdenken."
« Unterwegs wohin? " «Kreuzberg. "
Sie hob einen manikürten Finger. «Und dieses Mal werde ich nicht irgendwo hocken, während Sie den ganzen Spaß haben. Verstanden?»
Ich grinste sie an und zuckte die Achseln. «Verstanden.»
Im Stadtbezirk Kreuzberg, im Viktoriapark, versammeln sich Berlins Maler, um ihre Bilder zu verkaufen. Nur ein paar Häuserblocks vom Park entfernt liegt der Chamissoplatz, der von hohen, festungsähnlichen Wohnhäusern umgeben ist. Die Pension Tillessen befand sich im Eckhaus Nr. 17, doch mit ihren geschlossenen Rolladen, bedeckt mit Parteiplakaten und KPD-Schmierereien, sah sie nicht so aus, als habe sie seit der Bismarckzeit Gäste beherbergt. Ich ging zur Eingangstür und fand sie verschlossen. Ich beugte mich nieder und spähte durch den Briefschlitz, doch von Bewohnern entdeckte ich keine Spur.
Nebenan, vor dem Büro des « Deutschen Steuerberaters» Heinrich Billinger, schleppte der Kohlenmann auf einer Art Backtrog einige Braunkohlenbriketts ins Haus. Ich fragte ihn, ob er sich erinnern könne, wann die Pension geschlossen worden sei. Er wischte sich die rußige Stirn und spie aus, während er sich zu erinnern versuchte.
« Die Bude war nie das, was Sie eine regelrechte Pension nennen würden», erklärte er schließlich. Er blickte unsicher aufInge, wählte seine Worte sorgfältig und fuhr fort: « Eher das, was Sie ein übel beleumdetes Haus nennen würden. Kein ausgesprochenes richtiges Bordell, verstehen Sie. Einfach ein Haus, in das eine Hure ihren Freier abschleppte. Mir fällt ein, daß ich erst vor zwei Wochen ein paar Männer rauskommen sah. Der Boß kaufte nie regelmäßig Kohlen. Nur ab und zu einen Trog, der übriggeblieben war. Aber wann sie zugemacht haben, kann ich ihnen nicht sagen. Vorausgesetzt, sie haben zugemacht. So wie das Haus aussieht, läßt sich das schwer sagen. Kommt mir so vor, als wär's immer in diesem Zustand gewesen.»
Ich führte Inge zur Rückseite in eine kleine gepflasterte Gasse, gesäumt von Garagen und Verschlägen. Streunende Katzen hockten in räudiger Zurückhaltung auf den Kronen der Ziegelrnauern; eine vergammelte Matratze lag in einem Torweg, die eisernen Spiralfedern auf dem Boden verstreut; jemand hatte versucht, sie zu verbrennen, und ich wurde an die gerichtsmedizinischen Fotos erinnert, die Illmann mir gezeigt hatte. Neben der Garage, die zur Pension zu gehören schien, blieben wir stehen und blickten durch das schmutzige Fenster, doch es war nichts zu erkennen.
«Ich bin in einer Minute zurück», sagte ich zu Inge, kletterte an der Schmalseite der Garage am Abflußrohr hoch und gelangte auf das Wellblechdach.
«Hoffentlich», rief sie.
Ich kroch auf allen vieren über das stark durchgerostete Dach und wagte nicht,
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