Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
Entfer nung, bis sie dachten, sie seien wieder sicher. Seitdem ist es uns gelungen, Herrn Müller zweifelsfrei zu identifizieren. Be greifen Sie? Sie haben nicht gelogen.»
«Aber warum haben Sie ihn nicht einfach festgenommen?
Was hat er für Sie für einen Nutzen, wenn er frei herumlau fen kann?»
Poroschins Gesicht wurde verschlagen.
«In meinem Geschäft ist es nicht unbedingt immer klug, jemanden zu verhaften, der mein Freund ist. Manchmal kann er um vieles nützlicher sein, wenn ich ihn auf freiem Fuß lasse. Müller war seit Beginn des Krieges ein Doppel agent. Gegen Ende des Jahres 1944 war er natürlich mehr als scharf darauf, ganz aus Berlin zu verschwinden und nach Moskau zu kommen. Nun, können Sie sich das vorstellen, Herr Gunther? Daß der Chef der faschistischen Gestapo in der Hauptstadt des demokratischen Sozialismus lebt und ar beitet? Hätten die britischen oder amerikanischen Geheim dienste von einem solchen Knüller Wind bekommen, un zweifelhaft hätten sie diese Informationen in einem politisch günstigen Augenblick der Weltpresse zugespielt. Dann hät ten sie sich genüßlich zurückgelehnt und zugesehen, wie wir uns vor Verlegenheit wanden. Also wurde beschlossen, Mül ler nicht kommen zu lassen.
Das einzige Problem war, daß er zuviel über uns wußte.
Darüber hinaus kannte er den Aufenthaltsort Dutzender von Gestapo- und Abwehrspionen in der ganzen Sowjetunion und in Osteuropa. Er mußte zuerst neutralisiert werden, be vor wir ihm die Tür vor der Nase zuschlagen konnten. Also überredeten wir ihn mit einem Trick, uns die Namen aller die ser Agenten zu geben, und begannen zugleich, ihn mit neuen Informationen zu füttern, die, da sie für die deutsche Kriegs führung nicht hilfreich waren, vielleicht für die Amerikaner von beträchtlichem Interesse sein konnten. Es versteht sich von selbst, daß auch diese Informationen falsch waren.
Jedenfalls hielten wir Müller, der überlaufen wollte, lange Zeit hin, sagten ihm, er solle noch ein bißchen warten, und versicherten ihm, er brauche sich keine Sorgen zu machen. Als wir jedoch mit ihm fertig waren, ließen wir ihn entdek ken, daß aus diversen politischen Gründen sein Überlaufen nicht gebilligt werden würde. Wir hofften, das würde ihn dazu bringen, seine Dienste den Amerikanern anzubieten, wie es bereits andere getan hatten. General Gehlen, zum Bei spiel. Baron von Bolschwing. Sogar Himmler - obgleich die Briten ihn zu gut kannten, um sein Angebot anzunehmen. Vielleicht auch, weil er zu verrückt war, oder?
Vielleicht verkalkulierten wir uns. Vielleicht wartete Mül ler zu lange und war nicht in der Lage, den Augen Bormanns und der SS, die den Führerbunker bewachte, zu entkommen. Wer weiß? Jedenfalls beging Müller offenbar Selbstmord. Diesen Selbstmord täuschte er vor, aber es dauerte eine ganze Weile, bis wir das zweifelsfrei beweisen konnten. Müller ist ein sehr gerissener Mann.
Als wir von der Existenz der Org erfuhren, dachten wir, daß es nicht sehr lange dauern würde, bis Müller wieder auf tauchte. Aber er hielt sich eisern im Hintergrund. Bei einer Gelegenheit soll er gesehen worden sein, aber alles war unsicher und ließ sich nicht erhärten. Und als dann Captain Linden erschossen wurde, entnahmen wir den Berichten, daß die Mordwaffe diejenige war, die ursprünglich an Müller ausgegeben worden war. Aber diesen Teil kennen Sie bereits, denke ich.»
Ich nickte. «Belinsky hat's mir erzählt.»
« Ein höchst einfallsreicher Mann. Die Familie stammt aus Sibirien, wissen Sie. Sie kehrte nach der Revolution nach Rußland zurück, als Belinsky noch ein kleiner Junge war. Aber trotzdem war er ganz amerikanisiert, wie man sagt. Die ganze Familie arbeitete bald für den KGB. Es war Belinskys Idee, sich als Crowcass-Agent auszugeben. Nicht nur, daß Crowcass und CIC oft gegeneinander arbeiten, sondern Crowcass ist oft mit eIC-Leuten besetzt. Und es ist an der Tagesordnung, daß die amerikanische Militärpolizei von Crowcass-Operationen keine Kenntnis erhält. In ihren Orga nisationsstrukturen sind die Amerikaner noch byzantini scher als wir. Für Sie war Belinsky glaubwürdig; aber er wirkte auch auf Müller glaubwürdig, denn als sie ihm erzähl ten, ein Crowcass-Agent sei ihm auf der Spur, genügte ihm das, sich aus dem Versteck zu wagen; aber das reichte nicht, um ihn nach Südamerika zu treiben, wo er für uns nutzlos gewesen wäre. Schließlich gibt es andere Leute im CIC, die weniger Skrupel haben,
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