Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
Rings überwechselnd, um nahe am Park zu sein, gelangte ich zum Schubertring und da mit in die Nähe der Russischen Kommandantur im früheren Hotel Imperial, als ein großer Stabswagen der Roten Armee vor dem riesigen roten Stern und den vier Karyatiden vorfuhr, die den Eingang schmückten. Die Wagentür öffnete sich, und Oberst Poroschin stieg aus.
Er schien nicht im mindesten überrascht, mich zu sehen.
Tatsächlich war es fast so, als habe er damit gerechnet, daß ich hier spazierengehen würde, und einen Augenblick blickte er mich einfach an, als sei es erst ein paar Stunden her, daß ich in seinem Büro im « Kleinen Kreml» in Berlin gesessen hatte. Ich schätze, mir muß das Kinn heruntergefallen sein, denn nach einer Sekunde lächelte er, murmelte « Dobre utra» (Guten Morgen) und setzte seinen Weg in die Kommandan tur fort, dicht gefolgt von zwei untergeordneten Offizieren, die mir einen argwöhnischen Blick nachwarfen, während ich einfach sprachlos dastand.
Mehr als nur ein bißchen verwirrt, daß Poroschin jetzt in Wien aufgetaucht war, schlenderte ich zurück über die Straße zum Care Schwarzen berg, wobei ich um ein Haar von einer alten Dame auf einem Fahrrad überfahren wurde, die wie verrückt klingelte. Ich setzte mich an meinen gewohnten Tisch, um ein wenig über Poroschins Erscheinen auf dem Schauplatz nachzudenken, und bestellte einen kleinen Imbiß, womit meine neuen Vorsätze, mich fit zu halten, bereits zum Teufel waren.
Mit etwas Kaffee und Kuchen im Magen schien es mir leichter, die Anwesenheit von Oberst Poroschin in Wien zu erklären. Es gab schließlich keinen Grund, warum er nicht hätte herkommen sollen. Als KGB-Oberst konnte er vermut lich hinfahren, wohin immer er wollte. Daß er nicht mehr zu mir gesagt oder gefragt hatte, wie es mit meinen Bemühun gen um seinen Freund stünde, war vermutlich auf die Tatsa che zurückzuführen, daß er die Angelegenheit nicht in Ge genwart der beiden anderen Offiziere erörtern wollte. Und er brauchte nur zum Telefon zu greifen und das Hauptquartier der Internationalen Patrouille anzurufen, um festzustellen, ob Becker noch im Gefängnis war oder nicht.
Trotzdem hatte ich ein Gefühl in meiner Schuhsohle, daß Poroschins Ankunft aus Berlin mit meinen eigenen Nachfor schungen in Verbindung stand, und das mußte nicht notwen digerweise etwas Gutes bedeuten. Wie ein Mann, der zum Frühstück Pflaumen gegessen hat, konnte ich sicher sein, daß ich in Kürze etwas merken würde.
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Jede der vier Mächte war für jeweils einen Monat für die po lizeiliche Ordnung in der Innenstadt verantwortlich. Sie «hatte den Vorsitz», wie Belinsky es ausgedrückt hatte. Der besagte Vorsitz hatt~ seinen Sitz in einem Versammlungs raum im Hauptquartier der Verbündeten Polizeikräfte im Pa lais Auersperg, obwohl es auch darum ging, wer im Wagen der Internationalen Patrouille neben dem Fahrer saß. Doch obgleich die IP ein Instrument der Vier Mächte war und theoretisch den Anweisungen der Verbündeten Polizeikräfte folgen mußte, wurde sie in der Praxis ganz und gar von den Amerikanern gesteuert und unterhalten. Alle Fahrzeuge, Benzin und Öl, Funkgeräte, Ersatzteile, der Betrieb des Funkverkehrs und die Organisation der Patrouillen lagen in der Verantwortung der Amerikaner.
Das bedeutete, daß das amerikanische Mitglied der Pa trouille immer den Wagen fuhr, das Funkgerät bediente und den obersten Rang einnahm. Insofern hatte man sich unter dem «Vorsitz», zumindest soweit es die Patrouille selber an ging, eher so etwas wie einen beweglichen Feiertag vorzu stellen.
Obgleich die Wien er von den «vier Männern im Jeep" oder manchmal von den «vier Elefanten im Jeep" sprachen, hatte man in Wirklichkeit «den Jeep» längst als zu klein auf gegeben, um eine Patrouille von vier Männern und ihr Kurz wellengerät aufzunehmen, ganz zu schweigen von irgendwel chen Gefangenen; ein Dreivierteltonner war inzwischen das beliebte Transportmittel. Alles das erfuhr ich von dem russi schen Unteroffizier, der den IP-Wagen befehligte, der in kur zer Entfernung vom Casino Oriental auf dem Petersplatz parkte und in dem ich als Arrestant saß und darauf wartete, daß die Kollegen des Unteroffiziers Lotte Hartmann festnah men. Da er weder Französisch noch Englisch und nur ein paar Brocken Deutsch konnte, war der Mann froh, jemanden zu finden, mit dem er sich unterhalten konnte, selbst wenn es ein Russisch sprechender Gefangener war.
« Leider kann ich Ihnen nicht sehr viel
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