Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection
ganz Neugieriger«, amüsierte sich Himmler, während die Stimmung ringsum feuchtfröhlich und das Lied ›SS marschiert in Feindesland‹ angestimmt wurde. Naiver als dieser Blaublüter, den er für seine eigenen Zwecke einzuspannen gedachte, ging es wirklich nicht. Selbst Koch, der geglaubt hatte, er könne das Bernsteinzimmer für sich beanspruchen, kam da nicht mehr mit. Auf die Idee, es auf einer Burg in Sachsen zu bunkern, hatte auch nur dieser ostpreußische Goldfasan kommen können. Aber nicht mit ihm, nicht mit Heinrich Himmler. Ohne die SS ging in diesen Tagen gar nichts, und das würde auch in Zukunft so bleiben. Je mehr Faustpfänder in des Reichsführers Hand, so sein Kalkül, umso größer die Chance, bei einem Kuhhandel mit den Alliierten die eigene Haut zu retten. In einer Zeit, in der die Zeichen auf Sturm standen, musste man einfach an sich selbst denken. An sich und die Zeit nach dem Krieg. »Nun gut, der Zweite im Bunde fällt etwas aus dem Rahmen. Nicht gerade aus bestem Hause, Sie verstehen. Ostpreuße und Kunsthistoriker von Beruf. Eigenwillig, um nicht zu sagen skurril. Nichtsdestotrotz ein Fachmann, nur darauf kommt es momentan an.«
»Und wozu all diese Experten?«, argwöhnte von Oertzen, nicht gerade ein Freund akademischer Gelehrsamkeit, und lehnte sich für seine Verhältnisse ungewöhnlich weit aus dem Fenster. »Je weniger verschrobene Koryphäen und je mehr verdiente Parteigenossen, desto besser.«
»Schon möglich«, räumte Himmler ein, entfernte eine Staubfaser, welche an dem mit Eichenlaub geschmückten Kragenspiegel des SS-Standartenführers haften geblieben war, und wippte auf seinen Stiefelabsätzen hin und her. »Schon möglich, dass Sie recht haben, von Oertzen«, sprach er gedehnt, »aber wenn es um das Bernsteinzimmer geht, kann ein bisschen Fachidiotentum sicher nicht schaden.«
15
Hyannis Port, Massachusetts / USA | 01.55 h Berliner Zeit
Fünf vor acht. Und somit nur noch ganze 22 Stunden Zeit.
Mehr nicht.
Das Whiskeyglas in der Hand, lief Gregory Boynton Grant im Wintergarten seiner Nobelvilla ruhelos hin und her. An das Unwetter, das seit Stunden über dem Nantucketsund wütete, verschwendete er keinen Blick, geschweige denn irgendwelche Gedanken. Mit denen war er nämlich woanders, mehrere Tausend Meilen weit weg, auf der anderen Seite des Ozeans.
Doch alles Warten, Bangen und Grübeln hatte keinen Zweck. Der stellvertretende Direktor der CIA unterdrückte einen Fluch und leerte sein Glas bis zur Neige. An allem war nur dieser aufgeblasene irische Zuchtbulle mit Namen McCarthy [26] schuld. Dieser pathologische Kommunistenhasser, der eine regelrechte Hysterie entfesselt hatte. Ob Wissenschaftler, Künstler oder Politiker, ob Staatsbeamter oder Geheimagent: Von den Mitgliedern der Bostoner High Society bis hinunter zum Staubsaugervertreter aus dem Mittelwesten war niemand vor seinen Nachstellungen sicher. Nicht einmal er, Gregory Boynton Grant. Wer dem Idealbild eines Amerikaners nicht entsprach, würde früher oder später in die Mühlen der McCarthy’schen Bespitzelungsmaschinerie geraten.
Homosexuelle mit inbegriffen.
Ohne Rücksicht auf Beziehungen, Rang oder Namen. Ohne Respekt vor der CIA.
Um sich abzulenken, schaltete Grant das Radio ein. Und wurde prompt von seinen Problemen eingeholt: ›Good evening, Ladies and Gentlemen‹, flirrte die Stimme der CBS-Sprecherin durch den Äther. ›This is CBS News, brought to you by Beverly Thompson. Berlin. According to our correspondent, mass protests in East Berlin have reached an alarming …‹
Auch das noch!, stöhnte Grant innerlich auf. Als ob die Lage, in die er sich hineinmanövriert hatte, ohnehin nicht schon kompliziert genug gewesen wäre. Der stellvertretende CIA-Direktor wechselte rasch den Sender. Na also, warum nicht gleich. ›Schwanensee‹ von Tschaikowski. Genau das Richtige, um auf andere Gedanken zu kommen.
Auf andere Gedanken, jedoch nicht auf die rettende Idee.
Kurz vor acht, als er sich das nächste Glas Southern Comfort genehmigte, war es schließlich so weit. Grant schnappte nach Luft. Na endlich, der erwartete Anruf. Die Nerven bis zum Zerreißen gespannt, stellte er sein Glas ab, schaltete das Radio aus und riss den Hörer von der Gabel. »Grant hier, wer ist am Apparat?«
»Als ob Sie das nicht wüssten!«, mokierte sich die Stimme am anderen Ende der Leitung und gab ein kehliges Lachen von sich. »Oder bin ich etwa zu spät dran?«
»Im Gegenteil«, versicherte Grant
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