Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection
leer.
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»Scheiß Plackerei!«, fluchte Ole Jensen, als die letzte von mehreren Dutzend Kisten, Behältern und Kartons, die er und seine Kameraden bei strömendem Regen vom Rittersaal aus in den Hof geschleppt hatten, auf den Ladeflächen der beiden Lastwagen verschwunden war. »Da hätte ich ja gleich Möbelpacker werden können.«
»Wenn du schlau bist, Jensen«, knirschte Holländer, während er die klitschnasse Plane festzurrte, »hältst du jetzt einfach deinen Mund. Sonst sehe ich mich gezwungen, den Alten zu informieren. Und dann kannst du sehen, wo du bleibst.«
»Jetzt hör mir mal gut zu, du Diplom-Lackaffe«, grollte Jensen, packte seinen Kontrahenten am Kragen und trieb ihn vor sich her, »wenn du denkst, mir damit Angst einjagen zu können, irrst du dich. Und zwar gewaltig. Von einem feinen Pinkel wie dir lasse ich mir nämlich nichts sagen, kapiert? Aber auch gar nichts. Und jetzt noch mal zum Mitschreiben. Entweder du hältst in Zukunft die Klappe, oder ich polier dir die Fresse, dass …«
»Zum Donnerwetter, Jensen, was ist denn eigentlich hier los?«, fuhr von Oertzen dazwischen, im Begriff, den abfahrbereiten Konvoi zu inspizieren. »Haben Sie denn völlig den Verstand verloren?«
»Er hat mich provoziert, Herr Standartenführer«, rechtfertigte sich der Friese, ließ von Holländer, der ihn schadenfroh angrinste, mit grimmiger Miene ab und glättete seine Uniform. »Mit voller Absicht.«
»Ganz egal, wer hier wen provoziert hat, meine Herren«, kanzelte von Oertzen die beiden Streithähne ab, während er den Lkw einer flüchtigen Prüfung unterzog. »Nach Erledigung unseres Auftrages wird die Angelegenheit noch ein Nachspiel haben. Speziell für Sie, Sturmbannführer Jensen. Und jetzt aufsitzen, aber ein bisschen plötzlich!«
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»Wohin soll die Reise eigentlich gehen?«, fragte Benjamin Kempa, nachdem von Oertzen auf dem Beifahrersitz Platz genommen und der Konvoi zu mitternächtlicher Stunde das Burgtor passiert hatte.
»Kümmern Sie sich gefälligst um Dinge, die Sie etwas angehen, Kempa!«, stauchte ihn von Oertzen zusammen und blickte stur geradeaus. Wahre Sturzbäche ergossen sich vom Himmel, und um ein Haar wäre der Kübelwagen ins Schleudern geraten.
Hans-Hinrich von Oertzen focht dies jedoch nicht an. Auch dann nicht, als der Wind stark auffrischte und taubeneigroße Hagelkörner vom nachtschwarzen Himmel prasselten. Ganz und gar in seinem Element, flog sogar ein Lächeln über sein Gesicht, erst recht, als der Konvoi die Talsohle erreicht und in westlicher Richtung davongebraust war.
Eine volle Stunde später, kurz vor Altenburg, brachte Kempa den Mut auf, erneut eine Frage zu stellen. »Was ist eigentlich mit den Lkw-Fahrern, Herr Standartenführer?«, murmelte er, den Blick in den Rückspiegel gerichtet. »Ich meine, wenn wir an unserem Bestimmungsort angekommen sind.«
Die Neugierde sollte ihm indes vergehen.
Für alle Zeiten.
»Die drei Gefreiten?«, griff von Oertzen die Frage erst auf, als der Dresdener die Hoffnung auf eine Antwort fast schon begraben hatte. Er tat dies in einem Tonfall, den Kempa selbst bei ihm, dem Treusten der Paladine Himmlers, beim besten Willen nicht erwartet hätte. »Nun, einmal an Ort und Stelle, werden wir nicht umhin kommen, sie zu liquidieren.«
»Zu liquidieren?«
»Richtig«, bekräftigte von Oertzen, nicht einmal die Spur einer Regung im Gesicht. »Je weniger Mitwisser, desto besser.«
20
Berlin-Lichtenberg, Ministerium für Staatssicherheit der DDR in der Normannenstraße | 07.30 h
»Und die Lage im demokratischen Teil von Berlin?«, polterte Erich Mielke und warf seinem Büroleiter einen jener Blicke zu, vor denen das ganze Ministerium zitterte.
»Äußerst besorgniserregend«, räumte der schneidige junge Leutnant der Staatssicherheit unumwunden ein und machte erst gar nicht den Versuch, die Lage zu beschönigen. »Vorsichtig ausgedrückt.«
»Auf gut Deutsch: total beschissen!«, platzte Mielke heraus, einmal mehr überzeugt, von lauter Dilettanten umgeben zu sein. Um zu erkennen, dass die Tage der DDR gezählt waren, musste man wirklich nicht viel Grips in der Birne haben. Im Hinblick auf den drohenden Kollaps glichen sich die Spitzelberichte, Lagebeurteilungen und Depeschen, die sich auf seinem Schreibtisch häuften, nämlich aufs Haar. Die Lage war nicht nur ernst, sondern beinahe hoffnungslos. »Und wo genau ist die Kacke am Dampfen?«
»Vor allem am Strausberger Platz«, antwortete der
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