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Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection

Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection

Titel: Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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noch genau eine Minute Zeit, um darüber nachzudenken«, beschied Ex-Major Wassili Danilowitsch Slavín den naseweisen Litauer, lachte kurz auf und sprang mit ausgebreiteten Armen in die Tiefe.
    Knapp 60 Sekunden danach, in Sichtweise seines Landeplatzes, den er nur um wenige Hundert Meter verfehlen sollte, breitete sich sein Fallschirm aus, worauf der ehemalige NKWD-Offizier den Zünder aktivierte, der am Gürtel seines Tarnanzuges befestigt war.
    Einen Atemzug später, auf die Sekunde genau eine Minute nach seinem Sprung, glühte am Himmel ein grellroter Feuerball auf, und die Trümmer der Iljuschin Il-12T, glühend rot wie emporgeschleuderte Magma, stürzten vom graublauen Himmel herab.
    Sehr zur Freude von Slavín, der ohne jegliche Blessuren auf dem Boden aufsetzte, sich seines Fallschirms entledigte und in einem nahegelegenen Wäldchen verschwand.
     
     

27
     
    Ostberlin, zwischen ehemaligem Kaufhaus Wertheim und Potsdamer Platz | 12.05 h
     
    Es war der Mut der Verzweiflung, der sie trieb. Demzufolge hatten sie auch keine Angst. Weder vor den Stasi-Schlägern, die mit Knüppeln auf sie losgingen, noch vor den Vopos, die wahllos in die Menge feuerten, erst recht nicht vor den russischen Panzern, mochte deren Anblick auch noch so bedrohlich sein. Die Demonstranten, unter ihnen zahlreiche Arbeiter, Lehrlinge und Frauen, erhoben drohend die Fäuste, schrien die Wut heraus. So leicht, wie es sich die Russen und ihre Lakaien von der SED gedacht hatten, würden sie es diesem Pack nicht machen.
    Und so bildeten sie eine Front gegen die russischen Panzer, ohne jede Furcht vor dem Rasseln ihrer Ketten, dem Dröhnen ihrer Motoren, den hin und her schwenkenden Geschütztürmen. Die Tausenden Demonstranten auf der Leipziger Straße hatten nichts mehr zu verlieren, und so traten sie auch auf. Verbittert, zornig und wütend. Entschlossen, ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Am heutigen Tage, dies war allen klar, würde sich das Schicksal ihres Landes und ihr ganzes weiteres Leben entscheiden. Genau deshalb waren sie hier.
    Kaum waren die stählernen Kolosse aufgetaucht, flogen die ersten Steine. Es gab Schmährufe zuhauf, Pfiffe ertönten, anti-sowjetische Parolen wurden skandiert, die herbeieilenden Vopos mit Schimpfwörtern überhäuft. Auf die Besatzung der olivgrünen T-34 Panzer, jeder von ihnen über 30 Tonnen schwer, schien dies jedoch keinen Eindruck zu machen. Als gäbe es die Demonstranten nicht, rollten sie weiter Richtung Potsdamer Platz, dorthin, wo die Sektorengrenze verlief. Doch die sowjetischen Besatzer hatten die Rechnung ohne die zu allem entschlossenen Demonstranten gemacht. Ein wahrer Geschosshagel setzte ein, und es gab nicht wenige, die auf die Panzer kletterten, die Gehäuse mit ihren Fäusten traktierten oder gar ihre Antennen abknickten. Die Mutigsten unter ihnen eilten mit Feuerlöschern herbei, spritzten den Schaum in die Sehschlitze hinein. Der Aufruhr hatte seinen Höhepunkt erreicht. Die Erhebung, mit der sich so viele Hoffnungen verbanden, stand auf des Messers Schneide.
    Höchstens noch 100 Meter von der Sektorengrenze entfernt, blieb Tom Sydow stehen und fuhr herum. Es war genauso gekommen wie befürchtet. Genauso, wie er es vorhergesehen hatte. Wahrlich kein Grund, auf seine prophetischen Gaben stolz zu sein. Eher ein Anlass, um aus der Haut zu fahren. Sydows Gesicht rötete sich vor Zorn, und der Impuls, welcher in diesem Moment Besitz von ihm ergriff, ließ ihn den Grund, weshalb es ihn nach Ostberlin verschlagen hatte, vergessen. Mit der Bekämpfung von Randalierern, Rowdys und Schlägern hatte dies hier wirklich nichts zu tun. Dies hier war ein Akt der Verzweiflung. Der Versuch, das Joch der Unterdrückung abzuschütteln, diejenigen loszuwerden, die dabei waren, das gesamte Land zu ruinieren.
    Weshalb sich Sydow nicht in Sicherheit brachte, wusste er zunächst selbst nicht so genau. Schließlich hatte er allen Grund, möglichst schnell das Weite zu suchen. Trotzdem konnte er seinen Blick von den beiden T-34 Panzern, die nur noch 50 Meter von ihm entfernt waren, nicht abwenden. Nicht davon und auch nicht von den beiden jungen Männern, die den Mut aufbrachten, sie mit Steinen zu bewerfen. Einer nach dem anderen, als gäbe es die todbringende 85-mm-Kanone, welche sie und die Umstehenden auf der Stelle in Stücke reißen würde, überhaupt nicht.
    Sydow konnte sich einfach nicht losreißen, wie elektrisiert von der denkwürdigen Szenerie. Er sah die beiden jungen Männer,

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