Bernstein Verschwörung
das Blau des fast wolkenlosen
Himmels nur erahnen konnte. Sie musste sich eingestehen, dass sie
sich nie gern mit der Vergangenheit Deutschlands auseinandergesetzt
hatte.
»Das ist nur aus
versicherungstechnischen Gründen«, grinste Mehrmann, der
ihrem Blick auf das Verbotsschild gefolgt war. »Und die
Bretter vor dem Eingang kann man leicht zur Seite schieben, sodass
man da reinkann, ohne etwas kaputt zu machen.«
»Wem gehört
der Bunker eigentlich?« Heike hatte gehört, dass man in
den letzten Jahren viele alte Bunker an private Investoren
veräußert hatte, die daraus mit Einfallsreichtum und
Kreativität zum Beispiel wunderschöne Wohnungen und
Ateliers für Künstler mit einem Hang zum
Außergewöhnlichen machten. Für die Radioreporterin
war es schwer vorstellbar, dass man aus einem
hässlichen Betonklotz mit einer schlimmen
Vergangenheit einen heimeligen Ort zum Wohnen machen konnte.
Andererseits gab es auch Menschen, die in Wasser- und
Leuchttürmen wohnten.
»Der Kasten ist
Eigentum der Stadt, soviel ich weiß.« Mehrmann zuckte
mit den Schultern, zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und
schnippte den Stummel in einen Gulli. Heike überlegte, ob es
nicht eine Einnahmequelle für die Verwaltung wäre, wenn
sich die Stadt von diesen alten Gebäuden trennte. Das
käme den leeren Kassen sicherlich zugute. »Sollen
wir?«, sagte sie an Mehrmann gewandt. »Klar. Aber ich
habe kein Licht, und da drinnen ist es dunkel wie in einem
Bärenar… ich meine, man sieht die Hand vor Augen
nicht.« Er grinste schief. »Und nun kommt meine
große Stunde«, strahlte Heike und nahm ihren kleinen
Rucksack, den sie anstelle einer Handtasche immer bei sich trug,
von den Schultern. »Ich habe mir von Stefan die Pannenleuchte
geliehen, die er im Auto hat.« Mit stolzer Miene öffnete
sie den Reißverschluss und zog eine schwere Handlampe hervor.
Sie drehte den Schalter und bewirkte damit, dass die Lampe
orangefarben blinkte. »Toll«, grinste
Mehrmann.
»Nein, nein, sie
kann auch anders«, lachte Heike und betätigte den
Schalter noch einmal. Nun erlosch die Warnlampe, und auf der
Unterseite der Lampe leuchtete ein weißes Lichtfeld.
»Und jetzt können wir es wagen«, sagte sie.
Mehrmann nickte. »Ich hoffe, die Batterien sind in
Ordnung.«
Seite an Seite
erklommen sie die mit Grünspan überzogenen Betonstufen,
die zum Haupteingang des Bunkers führten.
Oben angekommen,
zögerte Mehrmann. Er wandte sich zu Heike um, die voller
Tatendrang war. »Beim letzten Mal habe ich hier, ehrlich
gesagt, voll die Paras geschoben.« Heike nickte. Früher
hatte man Schiss gehabt, oder Bammel. Heute schob man Paras. Sie
war eben auch nicht mehr die Jüngste.
»Sollen wir da
wirklich rein?«, fragte Mehrmann. »Ich meine, immerhin
ist da jemand erschossen worden. Vielleicht dient der Bunker einer
Gang als Versteck, und wir müssen damit rechnen, dass sie
zurückkommen. Ich habe selbst erlebt, dass diese Typen nicht
sehr zimperlich sind. Ein Menschenleben bedeutet denen gar
nichts!«
»Du solltest
rappen, anstatt ohne Punkt und Komma zu lamentieren«,
schmunzelte Heike. »Und nun komm schon. Wir sind zu zweit,
und ich könnte mir vorstellen, dass diese dunklen Gestalten
den Bunker in den nächsten Tagen meiden
werden.«
»Wie du
meinst.« Mehrmann schob sich an Heike vorbei. Er ruckelte an
den Brettern am Eingang herum, hatte schließlich das richtige
Holz erwischt und konnte den Holzverschlag wie eine Falttüre
zur Seite schieben. »Das ist doch extra so gebaut«,
vermutete Heike. »Von außen soll es so aussehen, dass
hier schon ewig keiner mehr drin war, aber in Wirklichkeit schiebt
man die Bretter zur Seite und hat freien Zugang zum Bunker. Da
steckt System hinter, Daniel.«
»Kann sein, ich
dachte, meine Jungs waren so genial drauf und haben das
herausgefunden.« Mehrmann kratzte sich am Kopf. »Aber
es könnte tatsächlich sein, dass die Bretter nur eine
abschreckende Wirkung haben. Bleibt das Verbotsschild der
Stadt.« Er deutete auf das Schild neben dem Eingang, dass
Unbefugten das Betreten des Gebäudes strengstens
verbot.
»Versicherungstechnisch«,
erwiderte Heike. »Das ist nur versicherungstechnisch. Damit
sichert sich das Gebäudemanagement der Stadt ab, falls doch
mal jemand da reinkriecht und verunglückt.«
Mehrmann antwortete
nicht. Er folgte Heike in den Bunker. Der Geruch von Schimmelpilz
und Urin schlug ihnen entgegen, eine ekelerregende Kombination.
»Wie auf dem Herrenklo am Bahnhof«, kommentierte
Mehrmann
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