Bernstein Verschwörung
Hand an der
Waffe.
»Nicht, dass wir
wüssten«, rief Heike und trat auf die Polizisten zu.
»Kommen Sie. Gehen wir an die frische Luft.« Die beiden
Beamten tauschten einen Blick, der Jüngere der beiden hob die
Augenbrauen, dann verließen sie zu viert den Bunker.
Draußen war Heike kurz vom Licht der tief stehenden Sonne
über dem Sedansberg geblendet. Schützend hielt sie eine
Hand über die Augen. Die Luft des milden Sommertages tat gut.
Sie glaubte, den Duft von Blüten riechen zu können, und
das mitten in der Stadt. Vermutlich lag das daran, dass die Luft im
Bunker feucht und modrig gerochen hatte.
»Ich nehme an,
Sie können sich ausweisen?« Nachdem der ältere
Polizist die Taschenlampe unter den Arm geklemmt hatte, schob er
sich die Mütze in den Nacken. Auf seiner Stirn standen
Schweißperlen. Dirkes hieß er, das entnahm Heike dem
Namensschild an seiner Brusttasche.
»Natürlich.«
Heike stellte die Handlampe vor ihren Füßen ab und
machte sich an ihrem Rucksack zu schaffen. »Langsam, keine
ruckartigen Bewegungen!«, rief Jachmann, der jüngere
Polizist. Er trug im Gegensatz zu seinem Kollegen keine Mütze.
Dass er die blonden Haare mit Gel in Form gebracht hatte,
registrierte Heike nur nebenbei. Sie starrte auf die Pistole in der
Hand des Beamten. »Könnten Sie die Waffe
freundlicherweise nicht auf mich richten?«, fragte sie,
während sie ihren Personalausweis aus dem Rucksack zog und
sich darüber wunderte, dass die Polizisten so unter Anspannung
standen. Sicherlich war es nichts Außergewöhnliches,
dass sich Menschen verbotenerweise Zutritt zu einem der zahlreichen
leerstehenden Gebäude in der Stadt verschafften. Hier, so
meldete sich ihr Spürsinn, schien etwas nicht zu
stimmen.
Elf
Sedanstraße,
16.35 Uhr
Entnervt fragte sich
Norbert Ulbricht, warum ausgerechnet die Leute, die er aufsuchen
musste, unter dem Dach wohnten. Mirja Blums Wohnung lag in einem
der Häuser, die in den Zwanziger jähren des letzten
Jahrhunderts von der Barmer Baugesellschaft für Arbeiter
gebaut worden waren. Hier, zwischen dem Alten Markt und der
Leimbacher Straße, hatte man Anfang des 20. Jahrhunderts
symmetrisch angelegte Wohnblocks errichtet. Kaum jemand, der hier
heute lebte, wusste, dass der Sedansberg früher im Volksmund
Mottenberg genannt worden war — eine Zusammenführung des
ursprünglichen Namens »Am Ottenberg«. Erst gegen
Ende des 19. Jahrhunderts hatte man die Straße nach der
französischen Stadt Sedan benannt; den Grund dafür hatte
Ulbricht aber vergessen. Als der Türsummer ertönte,
stemmte er sich mit seinem Gewicht gegen die Eingangstür des
Hauses und fand sich in einem schmalen Treppenhaus wieder. Die
Wände waren halbhoch vertäfelt, und an den Decken gab es
Stuckverzierungen. Das Haus befand sich in einem guten Zustand, und
Ulbricht erinnerte sich daran, dass Mirja Blum ihm berichtet hatte,
im Haus ihrer Eltern zu leben. Er kämpfte sich mühsam
durch das Treppenhaus hinauf und stellte erschüttert fest,
dass »ganz oben« im Fall von Mirja Blums Wohnung
tatsächlich ganz oben war: Sie lebte in einem zur Wohnung
ausgebauten Dachgeschoss. Atemlos stand er auf einer Fußmatte
mit dem Schriftzug Bierkiste abstellen, klingeln, verpissen und
schwor sich, das Rauchen aufzugeben. Seine Lunge schien zu bersten,
erst als er in das verheulte Gesicht der jungen Frau blickte,
besann er sich auf den Grund seines Besuches. Er lächelte
freundlich und rang immer noch nach Luft, während sie ihn
wortlos in die Wohnung ließ und in ein unaufgeräumtes
Wohnzimmer führte. Der Fernseher lief ohne Ton, auf dem
gläsernen Tisch stand ein Glas und eine halbleere Flasche Wein
aus dem Discounter. Mirja Blum sank auf die Couch, Ulbricht zog es
vor, stehen zu bleiben.
»Sind Sie
gekommen um mir zu sagen, dass er tot ist?« Ihre Zunge war
schwer, und das Make-up verwischt. Ulbricht presste die Lippen zu
einem schmalen Strich zusammen und nickte. »Ja. Es tut mir
leid, aber wir haben ihn heute gefunden.«
»Alex ist also
wirklich der Tote aus dem Bunker?« Wieder nickte Ulbricht.
»Er wurde erschossen.« Er trat an das geöffnete
Dachfenster und blickte sekundenlang hinaus auf die Dächer des
Sedansberges. Dann riss er sich vom Anblick auf Barmen los und
setzte sich auf den Sessel. Wie er feststellte, verarbeitete die
junge Frau die Nachricht vom Tode ihres Freundes relativ gefasst.
Im Laufe seiner Dienstjahre hatte er die unterschiedlichsten
Reaktionen erlebt, wenn er Angehörigen die Nachricht vom
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