Bernstein Verschwörung
Tode
eines Mitmenschens überbracht hatte. Unter Schock reagierten
die Menschen sehr unterschiedlich; so reichte das Repertoire von
hysterischem Gelächter bis hin zum Herzinfarkt. Manche
vergegenwärtigten den Verlust des Angehörigen erst Tage
später und fielen dann in ein tiefes Loch.
Im Fall von Mirja Blum
vermutete er, dass sie sich mit dem Gedanken bereits im Laufe des
Tages abgefunden hatte.
»Ich habe es
irgendwie gewusst«, flüsterte sie leise. »Es war
mir gleich klar, als mich Ihr Kollege ins Präsidium geholt
hat.«
»Wir sind jetzt
dringend auf Ihre Hilfe angewiesen«, sagte Ulbricht und
beobachtete die junge Frau sehr aufmerksam. »Inzwischen haben
wir sein Handy gefunden. Die Suche nach seinem Mörder
fängt jetzt an. Wir werden alle Kontakte auswerten.« Er
legte eine Pause ein. »Hatte Ihr Freund
Feinde?«
»Nein.«
Ein entschiedenes Kopfschütteln. »Er war immer
höflich und nett. In unserem Freundeskreis war er beliebt,
obwohl er kein Deutscher war.«
»Das
heißt, er stand zu seiner russischen
Herkunft?«
»Natürlich.
Und wir hatten damit keine Probleme, wenn Sie
verstehen?«
»Ich
benötige trotzdem eine Liste aller Freunde. Hatte er sonstige
Angehörige?«
»Soweit ich
weiß, nur in Russland. Seine Eltern sind vor zwei Jahren bei
einem Unfall ums Leben gekommen, und seitdem hat er sich hier mehr
oder weniger allein durchs Leben geboxt. Er war eine
Kämpfernatur.«
»Sie sagten
heute Morgen, dass er seine Freizeit fast immer hier verbracht
hat.«
»Das
stimmt.«
»Hat er einen
Computer?«
»Einen Laptop.
Warum?«
»Ich werde das
Gerät mitnehmen müssen. Die Kollegen aus der IT-Abteilung
werden die Festplatte spiegeln und auswerten. Vielleicht erhalten
wir so einen Hinweis auf die Tat. Möglicherweise gibt es eine
Vorgeschichte, von der Sie nichts ahnen.«
»Sie meinen, er
hat mir etwas verschwiegen?« Mirja Blums Kopf ruckte
hoch.
»Es ist zu
früh, das zu behaupten, aber wir dürfen nichts
ausschließen.«
»Ist gut.«
die junge Frau erhob sich schwerfällig und erinnerte dabei an
eine alte, gebrechliche Dame. Sie verließ den Raum, Ulbricht
hörte, wie sich ihre Schritte schlürfend
entfernten.
Er nutzte die Zeit,
sich im Wohnzimmer umzublicken. Es gab keine großen
Wertgegenstände - der Fernseher war kein Markengerät, die
Stereoanlage auf dem halbhohen Raumteiler hatte die beste Zeit
bereits hinter sich, und das Mobiliar schien aus dem
Möbeldiscounter zu stammen. Sein Blick blieb auf einem
gerahmten Foto an der Wand haften. Es zeigte Mirja Blum und
Alexander Koljenko eng umarmt. Sie tauschten einen verliebten Blick
aus; er strich ihr sanft durch das Haar, während sie den Kopf
an seine Schulter lehnte. Das Bild schien von einem professionellen
Fotografen aufgenommen worden zu sein. »Hier ist sein
Computer.«
Ulbricht zuckte
zusammen. Er hatte nicht bemerkt, dass die junge Frau ins
Wohnzimmer zurückgekehrt war. Sie hielt ein kleines Notebook
in der Hand, das sie nun vor Ulbricht auf dem Glastisch abstellte.
»Danke. Sie bekommen den Rechner so schnell wie möglich
zurück.«
»Ich brauche ihn
nicht. Er weckt nur Erinnerungen an Alex.« Sie zog die Nase
hoch.
Ulbricht nickte.
»Er lebte also meistens hier. Aber eine Wohnung hatte er
trotzdem, sagten Sie?«
»Das ist
richtig.«
»Sicherlich
haben Sie einen Schlüssel von seiner Wohnung?« Ulbricht
lächelte zaghaft. »Das würde mir viel Schreibkram
und den Einsatz eines Schlüsseldienstes
ersparen.«
»Natürlich.« Sie
verschwand aus dem Wohnzimmer, und Ulbricht hörte, wie sie
sich an der Kommode im Flur zu schaffen machte. Kurz daraufkehrte
sie mit einem Schlüssel zurück, den Ulbricht annahm und
in der Tasche seines Trenchcoats verschwinden ließ.
»Wie hat er seinen Lebensunterhalt verdient?«, fragte
er dann. »Mit Gelegenheitsjobs, manchmal auch schwarz.
Zuletzt in einem Getränkemarkt auf 400-Euro-Basis.« Sie
nannte ihm den Namen und die Anschrift, und Ulbricht schrieb
mit.
Dann ließ er
sich die Adresse von Koljenkos Wohnung geben, bevor er sich erhob.
»Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nicht länger als
nötig in Anspruch nehmen«, bemerkte er und klemmte sich
den Laptop unter den Arm. »Wenn ich noch etwas für Sie
tun kann… ich meine…« Er druckste herum. Hatte
er sich bis jetzt gut durch das Gespräch geschlagen, so
empfand er jetzt Mitleid mit der Abiturientin.
»Nein, danke.
Ich komme da durch.« Sie lachte humorlos auf. »Muss ich
ja. Alex wird sicher nicht
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