Bernstein Verschwörung
erschossen
wurden. Da steckt System hinter, sage ich dir.«
Er redete noch genauso
gern wie früher, stellte Heike zufrieden fest. Sie ließ
ihn gewähren. Jörn war ein lieber Kerl und ein
fähiger Journalist, aber er liebte es, sich selbst auf die
Schulter zu klopfen.
»Ich habe die
Adresse der jungen Frau und werde sie spätestens morgen
interviewen. Da hängt eine dicke Story dran, Heike.«
Jörn grinste gönnerhaft. »Wenn du magst,
können wir uns den dicken Fisch ja teilen.« Im
nächsten Augenblick öffnete sich die große Tür
des Saals, und der Oberbürgermeister, sein Stadtkämmerer
und ein Mitarbeiter des Presseamtes nahmen am Kopf des Tisches
Platz. Heike hatte keine Chance, Jörn eine Antwort zu geben.
Sie tauschten schweigend ihre Visitenkarten aus und setzten sich
nebeneinander an den langen Tisch.
Als im Raum Stille
eingekehrt war, wurde die Konferenz durch den Pressesprecher der
Stadt offiziell eröffnet. Nach der Begrüßung kam
man ohne Umschweife auf das Thema, das alle Anwesenden aktuell am
meisten beschäftigte, und so ließ es sich Johannes Alt
nicht nehmen, zu einer Schweigeminute zu Ehren des toten Jörg
Trautlers aufzurufen.
Heike beobachtete den
Oberbürgermeister, der den Kopf geneigt hatte und die Augen im
stillen Gebet geschlossen hatte. Schlecht sah er aus, fand sie. Es
war, als wäre er in den letzten Tagen um Jahre gealtert.
Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, und sein Gesicht wirkte
unnatürlich blass. Wahrscheinlich hatte er die letzten
Nächte nicht geschlafen, warum auch immer. Für einen Mann
wie Johannes Alt gab es augenblicklich wahrscheinlich mehrere
Gründe, nicht in den Schlaf zu finden. Sie dachte an die
Geschichte, die ihnen Kalla im Brauhaus erzählt hatte.
Angeblich hatte es sogar Morddrohungen gegen Alt gegeben. Den Anruf
in der Pressestelle des Polizeipräsidiums am Morgen hätte
sie sich sparen können - dort hatte man ihre Frage nicht
beantwortet. Vielleicht würde sie ja von Jörns Angebot
Gebrauch machen und gemeinsam mit ihm an der Sache arbeiten. Auch
wenn Stefan das wohl nicht sonderlich gefallen würde. Sie
wusste, wo sie hingehörte, und auch wenn Jörn ihr immer
noch schöne Augen machte, hatte er keine Schnitte gegen
Stefan. Aber das, so dachte Heike lächelnd, musste sie ihm ja
nicht gleich auf die Nase binden.
Vierzehn
Wupperwelle, 12.45
Uhr
»Das
Bernsteinzimmer in Wuppertal?« Eckhardt starrte Heike wie
eine Geisteskranke an. Seine Nase glühte, und auf seiner Stirn
standen Schweißperlen. In seinem Gesicht zuckte es. Heike
konstatierte, dass der Chefredakteur der Wupperwelle eigentlich ins
Bett gehörte. Stattdessen quälte sich der Workaholic in
der Redaktion des Senders durch den Tag und steckte seine
Mitarbeiter an. Sie nickte, ohne ein Wort zu sagen. Heike hockte
auf einem der beiden Freischwinger vor Eckhardts Schreibtisch und
achtete auf jede Regung im Gesicht ihres Vorgesetzten. Durch die
Stille im Büro drangen die Geräusche der angrenzenden
Redaktion gedämpft an ihre Ohren. Es dauerte ein paar
unendlich lange Sekunden, dann brach bei Michael Eckhardt die
Heiterkeit aus. Er lachte schallend, nahm die Brille ab und wischte
sich die Tränen aus dem Gesicht. Er musterte Heike, fand
anscheinend ihre bloße Anwesenheit urkomisch und lachte
weiter. Eckhardt setzte die dünne Brille wieder auf und erhob
sich aus seinem ledernen Sessel. Er umrundete den Schreibtisch und
trat an die rechte Seitenwand seines Büros. Hier gab es einen
Dreimonatskalender. Eckhardt studierte den Kalender aufmerksam,
schüttelte den Kopf und wandte sich langsam zu Heike um.
»Nein«, murmelte er dann. »Der erste April ist
längst vorbei.« Er kehrte an den Schreibtisch
zurück und blickte an Heike vorbei auf die große
Glasfront, von der aus er direkt in die Redaktion sehen konnte.
Etwas in Heikes Rücken schien ihn zu faszinieren. Doch sie tat
ihm nicht den Gefallen, sich zum Geschehen im Großraumstudio
umzudrehen. Das Treffen mit Jörn Lichtenfeld hatte sie
aufgerüttelt. Er hatte etwas in ihr geweckt, das sie schon
länger nicht mehr verspürt hatte: das Feuer, eine
brandheiße Story an den Tag zu bringen. Wie er ihr unumwunden
gesagt hatte, recherchierte er ebenfalls im Fall der beiden Morde.
Und er war der Meinung, dass es offenbar einen Zusammenhang gab.
Heike mochte ihn, doch beruflich betrachtet arbeitete er für
die Konkurrenz. Grund genug, die Geschichte hinter den Bunkermorden
als Erste an die Öffentlichkeit
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