Bernstein Verschwörung
wie er dort weiter den Inhalt der Schränke
durchsuchte. Das gleiche tat er kurz darauf in der kleinen
Küche. Als das Besteck aus dem Schubfach auf den gefliesten
Boden fiel, erhoffte sie sich, dass jemand im Haus auf den
Lärm aufmerksam werden und die Polizei rufen würde. Doch
die beiden Russen waren sich ihrer Sache offenbar sehr sicher, denn
während Juri sie mit der Waffe in Schach hielt, drehte der
Hüne ihre Wohnung auf halb acht. Längst schon hatte sie
jedes Zeitgefühl verloren und betete, dass der Schrecken bald
vorbei sein möge.
Irgendwann tauchte der
Hüne im Türrahmen auf. Juri löste seinen Blick von
Mirja und sah zu seinem Komplizen auf. Er schüttelte wortlos
den kantigen Schädel. Juri nickte, zerqueutschte einen Fluch
auf den Lippen und hieb Mirja den Kolben der Waffe auf den
Schädel. Ihr war, als würde ihr der Kopf explodieren. Der
brennende Schmerz durchzuckte ihren Körper, dann ertrank sie
in einer wohligen Schwärze.
Marienstraße,
19.05
»Dieser Erich
Koch scheint mir eine Art Darth Vader im Zweiten Weltkrieg gewesen
zu sein«, stellte Stefan sarkastisch fest, nachdem Heike ihm
berichtet hatte, was sie von Heinrich Große erfahren
hatte.
Für die Bemerkung
fing er sich prompt einen vernichtenden Blick von Heike ein. Doch
er ließ sich nicht von seiner Freundin ausbremsen.
»Immerhin hat er über Leben oder Tod entschieden, und er
hat, wenn ich mich recht erinnere, 400.000 Juden ins Lager gebracht
— der Rest ist tragische Geschichte.«
»Ich frage mich,
ob es Aufzeichnungen gab, die über den Verbleib des
Bernsteinzimmers Aufschluss geben könnten«,
überlegte Heike. Sie hatte es sich auf dem Sofa in Stefans
Wohnzimmer gemütlich gemacht und drehte ein langstieliges Glas
Rotwein in den Fingern. Der tiefrote Rebensaft aus dem Tarragona
schimmerte im Licht der tiefstehenden Sonne, die durch die offenen
Lamellen der Jalousien in den Raum fiel. Genießerisch leckte
sie sich über die Lippen.
»Das müsste
herauszufinden sein.« Stefan wandte sich vom Aquarium ab.
Manchmal konnte er Stunden vor seinen Fischen verbringen, ihnen
zusehen und einfach die Gedanken schleifen lassen. Nun durchquerte
er den Raum und setzte sich zu Heike auf die Couch. Sie schmiegte
sich an ihn.
»Der Krieg hat
mich offen gestanden nie sonderlich interessiert«, gestand
sie ihm nun. Stefan schwieg. »Ich meine, natürlich ist
es schrecklich, was da geschehen ist, aber es war für mich
immer nur die düstere Vergangenheit, die ich nicht miterlebt
habe und nur aus den Geschichtsbüchern kenne.« Sie
blickte mit großen Augen zu ihm auf. »Seit heute ist
das alles ganz anders, und der Krieg hat mich zum ersten Mal in
meinem Leben wirklich berührt. Es war, als wäre ich in
der Zeit gefangen, während Heinrich Große mir von Erich
Koch und seinen Gräueltaten berichtete. Es war einfach
schrecklich, und selbst wenn wir das Bernsteinzimmer und all die
anderen Schätze hier in Wuppertal finden, dann klebt so
unendlich viel Blut daran …« Nun lächelte Heike.
»Ich bin schrecklich - hinter uns liegt ein aufregender Tag,
und ich langweile dich mit alten Kriegsgeschichten. Was hast du
getrieben, während ich unterwegs war?«
»Ich habe mir
von Eckhardt anhören müssen, dass du offenbar völlig
abgedreht bist und nach dem Bernsteinzimmer suchen willst, das sich
in unserer Stadt befinden soll«, lachte Stefan und machte
eine wegwerfende Handbewegung. »Aber Schwamm drüber. Wir
kennen Michael Eckhardt schließlich lange genug um zu wissen,
dass er einfach Angst davor hat, irgendwelchen Leuten im Rathaus
auf die Füße zu treten. Ich habe in eine andere Richtung
recherchiert. Kalla hat doch indirekt den Verdacht
geäußert, dass es Vorwürfe gibt, die sich gegen
unseren Oberbürgermeister
richten.«
»Du meinst, weil
er sich mit einem dicken Mercedes herumkutschieren
lässt?«
Stefan nickte.
»Der Mord an Jörg Trautler würde da ins Bild passen
… immerhin ist er im Dienstwagen der Stadt zu seiner eigenen
Hinrichtung gefahren. Ich habe mich am Abend noch einmal mit Kalla
getroffen. Er war so nett, mich bei meinen Recherchern in der
Taxizentrale zu unterstützen. Und, um es vorwegzunehmen:
Würde der OB den Dienstwagen verkaufen und stattdessen mit dem
Taxi fahren, würde der Steuerzahler nicht wirklich
sparen.«
»Es muss also
einen anderen Grund geben«, dachte Heike halblaut nach.
»Was meinst du?«
»Trautler wurde
nicht ermordet, weil er einen Dienstwagen fuhr. Er war Mitwisser
bei der Suche
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