Bernstein Verschwörung
Rücken.« Sie
schüttelte das ergraute Haupt und winkte ab. »Ich halt
lieber meine Klappe und komm gut mit den anderen Nachbarn aus.
Immerhin wohne ich hier schon vierzig Jahre, und
…«
»Hat er Ihnen
gesagt wo er hinfährt oder wann er wiederkommt?«, wagte
Heinrichs einen Versuch. Die alte Frau lachte, als hätte sie
einen guten Witz gehört. »Der und mir was sagen? Der
kriegt den Mund kaum zum Grüßen auf. Muss ja nicht alles
erzählen, aber es gehört sich doch, dass man wenigstens
die Tageszeit sagt, wenn man sich im Treppenhaus trifft. Was wollen
Sie denn von dem?« Plötzlich hatte sich eine steile
Falte zwischen ihren Augenbrauen gebildet.
Ulbricht hatte genug
gehört. Er zog seinen Dienstausweis hervor, und die
geschwätzige Dame warf einen Blick darauf. Obwohl sie aus der
Entfernung unmöglich lesen konnte, was auf dem Dokument stand,
zog sie ein langes Gesicht. Sie kniff die Augen zusammen und konnte
wahrscheinlich aus der Distanz nur das Landeswappen erkennen.
»Oh, Sie sind von der Polizei?« Ulbricht nickte.
Heinrichs grinste blöde. »Oh je. Hat er denn was
ausgefressen?«
»Das wissen wir
nicht. Haben Sie eine Ahnung, wo er hin ist?«
»Die sind mit
dem Auto weggefahren, das muss eine Stunde her sein.« Wieder
winkte sie ab. »Aber ich bin Rentnerin, da verliert man jedes
Zeitgefühl, sag ich Ihnen. Kann länger her sein, kann
aber auch erst eine halbe Stunde her sein, nageln Sie mich nicht
fest!«
»Was für
einen Wagen hat er denn?«, fragte Ulbricht. »So einen
Audi. Ich kann Ihnen aber das Nummernschild sagen.« Ohne
lange nachdenken zu müssen, nannte sie das Kennzeichen, und
Ulbricht kritzelte es auf seinen Zettel. »Ein Audi, sagten
Sie?«, hakte er dann nach. Die alte Frau nickte. »Ja,
giftgrün, eine auffällige Farbe. Ich finde das ja
hässlich, aber über Geschmack kann man streiten. Hat er
wahrscheinlich selbst lackiert, er bastelt immer samstags an seinem
Wagen.« Sie streckte den Arm aus und deutete auf eine Garage
neben dem Haus. »Das stinkt manchmal und macht furchtbaren
Krach, aber ich sag nichts dazu. Ich bin doch nicht verrückt,
hören Sie mal!«
»Vielen Dank,
Frau …«
»Gustlaff,
Hertha Gustlaff.« Nun lächelte sie. »Darf ich
Ihnen vielleicht einen Kaffee anbieten?«
»Danke,
nein«, winkte Heinrichs ab. Ulbricht hatte sich aus der
Hörweite von Hertha Gustlaff zurückgezogen. Er
telefonierte bereits mit dem Präsidium. »Ich muss ein
Kraftfahrzeug zur Fahndung ausschreiben«, sagte er knapp
angebunden. Er lauschte in den Hörer, dann konnte Heinrichs
beobachten, wie sich das Gesicht seines Vorgesetzten in ein
bedrohliches Tiefrot färbte. »Es ist mir
scheißegal«, blaffte er in das Telefon. »Nein,
nichts angestellt. Vielleicht doch, das werden wir herausfinden,
wenn wir den Halter haben. Also Beeilung. Und mich sofort anrufen,
wenn die Kiste irgendwo auftaucht.« Er drückte den roten
Knopf und steckte das Handy in die Tasche zurück. »Alles
Idioten«, brummte er und hatte Mühe, sich zu
beruhigen.
Sedanstraße,
18.55 Uhr:
Sie handelte
automatisch, agierte wie eine Marionette, die an unsichtbaren
Fäden gezogen durch die Wohnung wandelte, die ihr
plötzlich so fremd vorkam. Nachdem die beiden Männer sie
in die Wohnung gestoßen und die Tür hinter sich
verschlossen hatten, fühlte sie sich in ihren eigenen vier
Wänden wie in der Falle. Mirja Blum fand keine Sekunde, sich
mit der Situation zu arrangieren. Die Fremden bugsierten sie mit
gezogener Waffe ins Wohnzimmer, und Mirja wurde das Gefühl
nicht los, dass es sich bei den beiden tatsächlich um die
Mörder ihres Freundes handelte. Eine andere Erklärung
hatte sie nicht. »Was… was wollen Sie von mir?«,
stammelte sie immer wieder.
Brutal wurde sie von
dem Drahtigen der beiden auf das Sofa gestoßen. Die Kraft,
die von diesem Mann ausging, hätte sie ihm nicht zugetraut.
Wahrscheinlich trainierte er im Fitnessstudio. Ihre Schulter
schmerzte an der Stelle, an der er sie gepackt hatte. »Wo
sind die Unterlagen?«, zischte er. Erst jetzt registrierte
Mirja, dass der andere Mann bisher noch kein einziges Wort
geprochen hatte. Er stand einfach mit verschränkten Armen im
Raum und musterte sie wie ein Insekt. Die Pupillen seiner Augen
konnte sie durch die Gläser seiner Brille nur erahnen. Dieser
Mann wirkte wie eine Kampfmaschine auf sie, wie ein mächtiger
und unerbittlicher Roboter, der hergekommen war, um eine Mission zu
erfüllen. Dagegen war der Drahtige nur ein Lakai, jemand, der es
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