Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
Vom Netzwerk:
winkte ihm.
    Und er fragte sich erneut, weshalb sie so früh nach Hause gekommen war.
    Daher führte er sie also am letzten Nachmittag durch die gewundenen Kopfsteinpflasterstraßen, wo kleine, weißgekalkte Häuser zum Verweilen einluden. Sie erklommen schmale Stufen, keuchten, atmeten den Seewind, kauften Früchte von einer ledrigen alten Frau mit einem Korb.
    „Mmmm …“ Brandy leckte den Saft von einer scharlachroten Beere. „Wer war diese Frau? Sie nannte dich ‚Sojer’, aber den Rest konnte ich nicht verstehen … Ich konnte nicht mal dich verstehen! Ist der hiesige Dialekt so anders?“
    Er wischte sich das Kinn ab. „Durch den ständigen Strom von Neuankömmlingen wird es immer schlimmer. Aber in der Unterstadt gewöhnt man sich an alles … Eine alte Bekannte, ich lernte sie während der Epidemie kennen. Sie war krank.“
    „Epidemie? Was für eine Epidemie?“
    „Die Oro-Mine hat Arbeiter importiert – sie haben vor deinem letzten Besuch wegen der gestiegenen Nachfrage damit angefangen. Einer der Arbeiter hatte eine bei uns unbekannte Krankheit. Sie tötete etwa ein Drittel von Neu Piräus.“
    „Oh, mein Gott …“
    „Das war vor etwa fünfzehn Jahren … Die Labors von Oro haben ein Serum gefunden, und die Stadt wurde neu bevölkert. Aber man weiß immer noch nicht, was das für eine Krankheit war.“
    „Auf einer einzigen Welt zu leben ist wie das Hocken in einer Falle.“
    „Aber das müssen die meisten von uns … dafür hat es andere Vorteile.“
    Sie aß ihre Frucht auf und wechselte das Thema. „Du hast dich während der Epidemie um sie gekümmert?“
    Er nickte. „Ich schien immun zu sein, daher …“
    Sie tätschelte seinen Arm. „Du bist so gut.“
    Er wandte sich lachend ab. „So künstlich wäre treffender.“
    „Wirst du niemals krank?“
    „Fast nie. Ich kann mich nicht einmal sehr betrinken. Eines Tages werde ich wahrscheinlich aufwachen und ganz aus Plastik sein.“
    „Du bist trotzdem gut.“ Sie gingen wieder weiter. „Was hat sie gesagt?“
    „Sie sagte: ‚Ah, Soldat, du hast eine Freundin gefunden.’ Sie schien sehr erfreut zu sein.“
    „Und was hast du gesagt?“
    „Ich sagte: ‚Ja, das stimmt.’“ Er lächelte, legte aber den Arm nicht um sie; seine Finger schlossen sich um nichts.
    „Nun, es freut mich, daß sie erfreut war. Die meisten Leute schienen das nicht zu sein.“
    „Beachte sie nicht. Schau dort.“ Er deutete zum Meer, gedämpftes Grün und Blau über den elfenbeinfarbenen Häusern der Stadt. Nördlich und südlich erstreckten sich Berge wie zerknitterte Kleidungsstücke zum Strand.
    „Oh, das Meer – ich habe das Meer immer geliebt. Zu Hause waren wir davon umgeben, auf Inseln. Das Weltall ist wie das Meer, grenzenlos, konstant, es verändert sich ständig …“
    „… Raumfahrerin!“ Zwei kichernde Mädchen machten einen großen Bogen um sie, ihre dunklen Röcke flatterten.
    Brandy errötete, runzelte die Stirn, wandte sich dann aber wieder dem Meer zu. „Ich … ich glaube, ich werde müde. Ich habe genug gesehen.“
    „Hier oben gibt es auch nicht viel zu sehen – außer dem, was neu ist.“ Er nahm ihre Hand, und sie stiegen wieder hinab. „So weit oben sind wir eben eine Rarität.“ Ein schwerer Mann in einem ebensolchen Kaftan schob sich an ihnen vorbei, und Maris erkannte den lüsternen Blick in seinen Augen. Es war einer von ihren gealterten früheren Schwänzen.
    „Entweder gaffen sie einen an, oder sie schneiden einen.“ Ihre Nägel gruben sich in sein Fleisch. „Was für ein Problem haben sie?“
    „Eifersucht … . Sterblichkeit. Ihr macht ihnen Angst, ihr Raumfahrerinnen. Ist dir der Gedanke noch nie gekommen? Frei und schön und unsterblich …“
    „Sie wissen, daß wir nicht unsterblich sind. Wir leben kaum länger als andere auch.“
    „Sie wissen aber auch, daß ihr von einer fünfundzwanzigjährigen Reise zurückkommt und kaum älter als bei eurer Abreise ausseht. Vielleicht erkennen sie euch nicht mehr, aber sie wissen es. Und sie sind fünfundzwanzig Jahre älter … Warum, glaubst du, hüllen sie sich in solche Säcke?“
    „Damit sie häßlicher aussehen. Sie müssen unter fürchterlichen Hemmungen leiden.“ Sie senkte traurig den Kopf.
    „Das ist zutreffend, aber daran liegt es nicht. Sie wollen die Veränderungen verbergen. Und damit auf ihre Weise euch nachahmen, weil ihr immer gleich ausseht. Das tun sie schon, so lange ich mich erinnern kann. Sie sind sehr neidisch auf euch.“
    Sie seufzte.

Weitere Kostenlose Bücher