Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
Tönen, die doch nur oberflächlich waren, die reinen Harmonien, die jede Fiber der Nerven durchdrangen.
„Mirro“, flüsterte Tarawassie durch die hauchzarten Schattierungen der sie umgebenden Geräusche. „Wie kann die Sternenquelle den Tod geben? Was ist sie? Warum ist sie hier? Und warum … warum konnte nicht auch ich sterben?“
„Möchtest du denn sterben?“ Mirro betrachtete sie verwundert, in alter Gewohnheit die Stirn runzelnd. Ihre Finger glitten über die Oberfläche des Webstuhls unter dem glitzernden Garn. Farben schimmerten in der Transparenz, ergossen sich über die Wände, woben ein filigranartiges Gewebe reinsten Lichts.
Tarawassie verschloß ihre Augen vor dem hypnotischen Glühen, kämpfte gegen die Erinnerung eines verblaßten Traums. „Ich kann es nicht sagen. Aber … ich konnte nicht träumen.“
Mirro wandte sich wieder dem Webstuhl zu, ihre flammenumzüngelte Robe schimmerte bei der Bewegung. „Du bist traurig. Aber das geht vorbei. Es geht immer vorbei. Du bist noch jung, du wirst es sehen.“
„Aber die Sternenquelle? Du verstehst die Wirkungsweise des Webstuhls – kannst du mir nichts über die Sternenquelle sagen?“
„Ich weiß nichts über sie.“ Mirro zuckte mit den Achseln. „Niemand weiß etwas. Aber das stört uns nicht; es spielt keine Rolle. Gräme dich nicht.“
„Aber ich möchte etwas darüber wissen. Wie kann ich es lernen?“
„Das kannst du nicht. Niemand hier kennt das Geheimnis.“
„Was ist mit den Stadtbewohnern? Und die Eingeborenen? Andar war einst weit jenseits der Stadtgrenze, und er kannte die Antwort.“ Tarawassie spielte mit dem Ärmel ihres Gewandes, franste ihn aus.
Mirro schüttelte den Kopf, ihr Haar fiel wie ein Schleier aus Schwarz und Silber um ihre Schultern. „Andar war irre. Er hätte nicht dorthin gehen sollen, und auch du solltest das nicht tun. Es besteht kein Grund dazu.“
Tarawassie wandte sich um, durchbrach die Barrieren der Traumgewebe und begab sich hinab zum tiefsten Punkt, wo das Landeboot wartete. Sie nahm sich einen Mantel und eine Leuchtkugel vom Stapel der achtlos aufgestapelten Gegenstände auf dem Fußboden. Als sie den Öffnungsmechanismus der Schleusentür aktivierte, blickte sie sich kurz um, doch es war niemand da, der ihr Verschwinden bemerkte.
Tarawassie durchschritt die erleuchteten Häuserschluchten der Stadt. Der erste Weg führte sie zum Handelsplatz, wo die Eingeborenen ihnen Nahrung, Kleidung und Getränke brachten – und Chitta, in tönernen Töpfen oder auch nur in Plastikgefäßen. Die Eingeborenen – und viele wilde Kreaturen – waren gekommen und hatten die Stadt mit ihren eigenen Leuten, die keine Verwendung hatten für die sich meilenweit erstreckenden Glas- und Betonbauten, auch kein Interesse daran, geteilt. Die Menschen bewohnten nun einige abgegrenzte Plätze in der Nähe der Bootslandestätten und waren damit zufrieden.
Eine aufragende Plattform, die einst wohl einem ähnlichen Zweck gedient hatte, war bedeckt mit den zubereiteten Körpern kleiner Tiere, Unmengen getrockneter Herbstfrüchte und Körben voll gedroschenen Getreides. Etwas Rotes, nutzlos Flatterndes flog aufgeschreckt davon, als es sie sah, wobei es schrille Schreie ausstieß. Enttäuscht, nichts zu finden, niemanden, den sie hätte fragen können, setzte sie sich auf eine Ecke der Plattform; sie fröstelte in der kühlen Abendluft.
Hunger erfüllte sie angesichts der zahllosen Nahrungsmittel, doch gleichzeitig ekelte sie sich auch davor. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte. Das rohe Fleisch zu essen widerstrebte ihr, so begnügte sie sich mit den geschmacklosen Früchten. Auch ein Gefäß mit Chitta stand bereit, lockte zahllose Insekten an, die auf der dickflüssigen Oberfläche des Sirups qualvoll verendeten. Ihre Hände zitterten; wie die Fliegen fühlte sie sich angezogen, doch sie drehte dem Gefäß den Rücken zu. Später. Sie würde später hierher zurückkehren, wenn sich die Notwendigkeit ergeben sollte …
Der Stadtrand war sehr nahe hier: Zwischen den alten Türmen konnte sie die Wiesen erkennen; weite Ebenen, bewachsen mit goldgrauem Gras, das im Wind wogte, die schirmförmigen Bäume, mit Früchten überladen. Der wolkenverhangene Himmel klarte auf, rosa und gelb, ein Hauch Grün verschmolz mit dem Hintergrund, befleckte den blauvioletten Dom des Firmaments. Die Kulisse entsprach ihren aufgewühlten Gefühlen.
Der Morgen kam, und noch immer vermißte sie
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