Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
in der Dunkelheit aufstehen und sich wieder setzen, getrieben von seiner eigenen Unruhe. Mit einem Seufzer, Müdigkeit oder Enttäuschung, rollte er sich am Feuer zu einer Kugel zusammen.
So lag sie lange, zitternd in der Kälte, ihr Geist und ihr Körper ächzten vor Erschöpfung, so erwartete sie den Schlaf, der eine Art von Tod darstellte.
Sie träumte sehr viel, doch unterschieden sich diese Visionen stark von den Träumen, die sie bislang gekannt hatte. In intensiven Details glätteten sie die Wochen der Verwirrung jenseits ihres Verständnisses – nicht ihren Schlaf beunruhigend, sondern ihre Bewußtlosigkeit zu einem tiefen inneren Frieden führend.
Sie erwachte durch ein plötzliches Geräusch, erfüllt mit einem Wohlgefühl, welches sie seit langem nicht mehr verspürt hatte. Als sie sich umschaute, um den Grund des Geräusches zu erfahren, sah sie Mondschatten, der gebückt das Gebäude betrat; seine Silhouette hob sich deutlich gegen den hellen Hintergrund ab, weiter hinten an der Wand sah sie ein Schild „Ausgang“ neben einer verschlossenen Tür.
Mondschatten kam auf sie zu, schritt zum Feuer, zwei kleine Kirvat-Kadaver in den Händen, ein seltsames Gewirr aus drei Riemen und drei runden Steinen mit seiner Schwanzspitze schwingend. Sein Atem kondensierte in bleichen Wölkchen vor seinen Lippen, als er näher kam, sie sah im Licht des Feuers, das sein Gesicht erleuchtete, seine von Desillusionierung gezeichneten Züge. Er warf die kleinen Tierkörper neben die Feuerstelle und setzte sich, wobei er das Messer von seinem Gürtel löste.
„Mondschatten.“ Sie setzte sich auf, sich wieder an alles erinnernd, plötzlich, ein völlig unbekanntes Gefühl für sie, beschämt. „Mondschatten, schau, das Wort! Ausgang! Ich kenne seine Bedeutung. Ich kann – lesen!“ Sie hoffte, das würde ihm mehr sagen als jede Entschuldigung. „Du hast es mir gezeigt.“
Sein Kopf drehte sich ihr zu, seine Augen suchten ihr Gesicht, jeder Ärger war vergessen. „Ja? Ja? Ist es Wahrheit, Sternenfrau? Ich zeigen dir gut?“
„Ja!“ Sie nickte, ein Lächeln erblühte auf ihren Lippen, das tief aus ihrem Inneren drang. „Alles ist an seinem Platz angekommen, ich verstehe alles …“ Sie fühlte die Fragmente eines fremden, seltsamen Geistes in den Grundfesten ihrer Erinnerung, ihres Bewußtseins.
„Vielleicht“ – Mondschatten hielt unter einem Ausbruch an Emotionen, die sie nicht verstand, inne –, „vielleicht teile ich nun deine Wahrnehmungen. Ich verstehe nicht gut Worte. Aber dein Geist eins mit meinem, wie Sternenmenschen, vor langer Zeit. Vielleicht du mir zeigen, was lesen. Und ich zeige dir all ihr Wissen.“
„Zusammen werden wir alle Antworten finden! Und dann …“ Sie hielt erschauernd inne. „Und dann …“
„Wir bald gehen zum Wort-Platz.“ Mondschatten nickte zuversichtlich. Er wandte sich ab, um die Kadaver zuzubereiten, und sie beobachtete ihn nicht dabei.
Als erstes ging Tarawassie zum Lesegerät, das noch eine Spule enthielt, hier im unordentlichen Alkoven dieser verlassenen Bibliothek, wo Andar seine Wahrheit gefunden hatte. Mondschatten schaute ihr über die Schulter und führte ihre Hand über die lange Reihe von Tasten, rezitierte Instruktionen, als hätte er sie von einem unbekannten Lehrmeister auswendig gelernt. Sie jubelte über ihr neuerlangtes Wissen, als es ihr gelang, Symbole mit Tönen in Einklang zu bringen, eines nach dem anderen, schließlich komplette Wörter und Sätze, eine endlose Folge. Die Klugheit jenes Mannes, der zum ersten Mal akustische Symbole verwendet hatte, um Nachrichten über meilenweite Entfernungen oder jahrtausendelange Zeitspannen weiterzugeben, erfüllte sie mit Zuversicht und Hoffnung.
Doch ein kleiner Teil ihres Bewußtseins wehrte sich gegen die schwerfällige, indifferente Mitteilung von Worten und Symbolen. Das war so unnötig und zeit verschwendend, wenn eine Person auch einfach zeigen konnte. Und verwirrt durch die fremdartige Logik dieser Aussage erkannte sie, daß dies nicht ihre ureigensten Gedanken waren; es handelte sich vielmehr um eine starrsinnige, verschlossene Ablehnung, die Mondschattens Geist entsprang, für den zu viele Worte nur eine Verschleierung der Kernaussage waren. Nur um die Routine des täglichen Lebens abzuwickeln, benötigten Mondschatten und die anderen Eingeborenen die Sprache. Für sie wurde jedes Gefühl, jede intimere oder komplexere Form des Wissens direkt, von Gehirn zu Gehirn, übertragen. Und
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