Bernsteinsommer (German Edition)
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Nachdem sie gegessen hatten und auch noch das ältere Touristenpaar am Ecktisch gegangen war, setzte sich Anna Brockmann lächelnd zu ihnen an den Tisch, und auch Olaf kam kurz darauf breit grinsend aus seiner Küche. Er trug eine schneeweiße Kochjacke mit leuchtend roten Knöpfen und zog sich schon im Gehen einen Stuhl vom Nebentisch heran, stellte ihn mit der Lehne voran an die Stirnseite des Tisches und ließ sich rittlings darauf nieder, nachdem Finn auch ihn mit Lukas bekannt gemacht hatte.
„Wo treibt sich denn Torben rum?“, fragte Kira, während ihr Blick zum verlassenen Tresen huschte.
„Der hat heute einen Termin auf dem Festland bei unserem Steuerberater“, antwortete Olaf. „Wenn mein Bruder allerdings gewusst hätte, dass du heute noch mal hier reinschaust, Prinzessin, dann hätte er den bestimmt platzen lassen, jede Wette.“
Finn fiel sofort auf, dass Kira ausgesprochen verlegen reagierte. Das Thema war ihr offensichtlich nicht ganz angenehm.
„Olaf, was soll das?“, zischte Anna und sah ihren Bruder strafend an, nachdem sie Finns verwunderten Blick beobachtet hatte. „Was soll Kira denn jetzt denken, wie?“
Olaf zuckte kurz mit seinen Schultern. „Na hör mal, der läuft doch rum wie ferngesteuert, seit Kira wieder hier ist und …“
„Olaf, halt den Mund!“
„Ja, ist doch wahr. Mindestens dreimal am Tag höre ich mir an, wie toll es doch ist, dass Kira dieses Mal ganze drei Monate hier auf Sameland sein wird.“
Annas Ärger über ihren Bruder zeichnete sich deutlich auf ihrem hübschen Gesicht ab. Über ihrer süßen kleinen Stupsnase bemerkte Finn eine steile Falte, und sie stieß ein äußerst missbilligendes Geräusch aus, dann wandte sie sich demonstrativ Kira zu: „Hör nicht auf den Idioten, Kira, der will nur mal wieder auf Torben rumhacken.“
Kira brachte ein kleines Lächeln zustande. Allerdings warsie noch immer unangenehm berührt, das registrierte nicht nur Finn. „Hab gar nicht hingehört, Anna. Ich weiß doch, dass die beiden sich dauernd gegenseitig ärgern müssen, sonst sind sie nicht gesund.“
Zwei Stunden später dachte Finn noch immer über dieses eigenartige Geplänkel zwischen Olaf und seiner Schwester nach – und vor allem sah er Kiras Gesichtsausdruck fortwährend vor sich. Sie war nicht unbedingt der Typ für eine derartige Verlegenheit. Die Sache war ihr mehr als nur unangenehm gewesen, dessen war Finn sich sicher.
Tief einatmend – den fast leeren Kaffeebecher in der rechten, eine brennende Zigarette in der linken Hand – lehnte er sich in seinem Sessel zurück und sah durch die geöffnete Terrassentür des Martinelli-Hauses hinaus auf die Ostsee. In der Ferne glitt eine Fähre an Sameland vorbei, und das Geschrei der Möwen erschien ihm heute noch viel lauter als sonst.
„So, ich habe meine Sachen in dem kleineren Schlafzimmer am Ende des oberen Flures untergebracht“, unterbrach Lukas seine Gedanken. „Das Haus ist wirklich eine Wucht!“, setzte er noch hinzu.
„Hm.“ Finn richtete sich etwas auf und stellte den Becher auf dem kleinen gläsernen Beistelltisch ab, der in seiner Reichweite stand.
„Was ist los, Finn?“
„Äh …, eigentlich nichts. Ich denke über verschiedene Dinge nach, mehr nicht.“
„Lässt du mich an deinen Gedanken teilhaben?“ Lukas kam näher und setzte sich Finn gegenüber auf das Sofa.
„Hm.“
„Das sagtest du bereits.“ Lukas grinste. „Komm schon, großer Bruder, spuck es aus.“
Finns nachdenkliche Miene entspannte sich etwas. „Ich weiß nicht so recht, wie ich … sag mal, Luki, kennst du das Gefühl, dass du aus einer abstrusen Eingebung heraus einen saublöden Gedanken nicht wieder abschütteln kannst, obwohl dein Verstanddir klar und deutlich zu verstehen gibt, dass du spinnst?“
Nicht nur, weil Finn den alten Kosenamen aus ihrer Kindheit für ihn benutzt hatte, verzog Lukas sein Gesicht und verdrehte die dunklen Augen. „Geht es auch etwas deutlicher, Finnegan?“
Finns Mundwinkel zogen sich nach oben. „Vergiss es einfach, Luki. Wahrscheinlich spinne ich tatsächlich.“ Er wandte den Kopf wieder ab und schaute erneut auf das Meer. Eine Weile saßen die beiden Männer sich stumm gegenüber. Lukas betrachtete das ernste Gesicht seines älteren Bruders und lächelte leicht in sich hinein.
„Hör zu, du kannst ruhig zu ihr gehen, wenn dir danach ist. Ich komme schon klar. Mein Laptop steht oben, und ich habe ohnehin noch eine ziemlich dicke Mappe voller
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