Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
unterschiedlich: Einmal warnte bespielsweise ein Mitglied der Mailingliste von Wiebke Priehn ohne erkennbare Ironie, dass Bertelsmann bis in die Schlafzimmer vordringe. Der Beweis sei, dass Familie Jahr, die neben Bertelsmann an Gruner + Jahr beteiligt ist, mit 10 Prozent an einer Firma beteiligt sei, die Zähler an Heizkörpern ablese. Manchmal wirkt die Kritik reflexartig und blind: So fanden sich, als Peter Frey 2009 zum Chefredakteur des ZDF gewählt wurde, auf der Mailingliste und im Internet schnell einige Texte und Artikel, die ihn als Helfershelfer von Bertelsmann darstellten. Wie das? Frey hatte bei Werner Weidenfeld studiert, dessen Münchner Institut CAP die Stiftung über viele Jahre finanziert hat. Allerdings musste Weidenfeld 2007 gehen und die Stiftung will seitdem nichts mehr mit ihm zu tun haben. Damit taugt die Verbindung zu Weidenfeld 2009 wohl nicht mehr als Beleg für die Behauptung, dass jemand Bertelsmann besonders verbunden sei.
Ungeachtet solcher Verschwörungskommentare spielen die Kritiker eine Rolle, da sie Druck auf die Bertelsmann Stiftung ausüben. Der erste Reformversuch von außen, der Gesetzesentwurf von Antje Vollmer, ist missglückt, ebenso der Reformversuch von innen durch den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Heribert Meffert. Erzwingen nun also die sogenannten »Anti-Bertelsmann-Aktivisten« Reformen durch Öffentlichkeit?
Einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung der Stiftung markiert ein Zeitungsartikel, der nichts mit den Aktivisten zu tun hat, außer dass er ihnen gute Gründe für ihren Protest lieferte. Im September 2006 veröffentlichte der Journalist Harald Schumann im Berliner Tagesspiegel seinen bereits erwähnten Artikel »Macht ohne Mandat«. Schumann hatte wochenlang Studien gelesen sowie Beteiligte und Mitarbeiter der Stiftung befragt. Eine seiner zentralen Thesen lautet: Die Stiftung gibt nicht annähernd das Geld aus, das sie durch den Wegfall der Erbschaftsteuer sowie laufender Steuern der Familie Mohn spart. Ein Satz mit Sprengkraft. Schumann schreibt: »Tatsächlich wirtschaftet die Nebenregierung in Gütersloh de facto mit öffentlichem Geld.« Diese Erkenntnis hatte vorher niemand so deutlich formuliert.
Schumann schreibt weiter, dass über die personellen Netzwerke der selbsternannte »Reformmotor« zum eigenständigen politischen Akteur werde, der außerhalb der Parlamente eine Art Elitenkonsens schaffe – und nebenbei auch noch positive PR für den Konzern erziele. Er zitiert den Soziologen und Kenner der internationalen Stiftungslandschaft Frank Adloff: Für solche Zwecke sei »die Steuerbefreiung für gemeinnützige Stiftungen nicht gedacht«. Der Artikel erschien Ende September 2006, als die Stiftung im Auswärtigen Amt in Berlin ihr internationales Bertelsmann Forum abhielt und dazu Politiker aus dem In- und Ausland versammelt hatte. Die Kritik war nun nicht mehr Sache eines Häufleins verträumter Linker; sie drang in den Mainstream vor.
Wie kritisch die Stiftung mittlerweile gesehen wurde, zeigt ein Buch, das der Bund demokratischer Wissenschaftler 2007 veröffentlichte. Netzwerk der Macht – Bertelsmann . Der medial-politische Komplex aus Gütersloh zeichnet auf 448 Seiten das Bild einer Krake, die alles beeinflussen will, von der Kommunalverwaltung, der Bildungs- und Hochschulpolitik, über Arbeits-, Gesundheits- und Sozialpolitik bis hin zur Außenpolitik. Die beiden Herausgeber Jens Wernicke und Torsten Bultmann versammelten 28 Autoren und Autorenteams, die die Vergangenheit der Stiftung, die Politikberatung und die ständige Bewertung durch Kennziffern hinterfragen. Die Wirkung des Buches geht weit über die 2 000 bislang verkauften Exemplare hinaus, zumal einige der Artikel im Internet kursieren.
Helga Spindler zeichnet in ihrem Beitrag nach, wie die Stiftung die Reform der Arbeits- und Sozialhilfe gesteuert und beeinflusst hat und so ins Kanzleramt vorgedrungen ist. Die Stiftung dementiert diesen Einfluss gerne, weil Hartz IV in der Öffentlichkeit ein Schimpfwort geworden ist. Dabei hat sie ihr Vordringen ins Kanzleramt noch zum 25-jährigen Jubiläum 2002 und in ihren Schriften jahrelang als Erfolg gefeiert. Spindler listet viele Belege und Fundstellen auf und lässt der Stiftung keinen Raum zu einem Dementi.
Die Stiftung spürte, dass sie das Buch nicht völlig ignorieren konnte und schrieb in einer Stellungnahme, dass das Buch Fehler enthalte. Sie sagte allerdings nicht welche. In einem Interview mit der Neuen
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