Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
Westfälischen sagte der Herausgeber des Buches Jens Wernicke: »Soweit mir bekannt ist, gab es seitens der Stiftung noch nie den Vorschlag an die Politik, die Unternehmenssteuern zu erhöhen oder Ähnliches, um so der immer größer werdenden sozialen Schieflage im Lande Herr zu werden. Welch Zufall, nicht wahr?« Die Stiftung stelle eines nie in Frage: die ungleiche Verteilung gesellschaftlichen Reichtums und gesellschaftlicher Macht. Auf die Frage, was er von Bertelsmann und der Politik fordere und ob Konzern und Stiftung stärker entflochten werden müssten, sagte Wernicke: Von Bertelsmann könne er gar nichts fordern, die Politik aber müsse wichtige Reformen »breiter und ergebnisoffen diskutieren«. Das wäre dann nicht nur der Form, sondern auch dem Inhalt nach Demokratie.
Zur Entflechtung von Unternehmen und Stiftung äußerte er sich in diesem Interview nicht, aber in einem Artikel über das »Schattenkabinett aus Gütersloh« verweist er auf die Gesetzeslage in den USA, wo Stiftungen der Besitz von mehr als 20 Prozent eines Unternehmens verboten sei. Wernicke kritisierte, dass es der Stiftung »mehr und mehr gelingt, selbst zu definieren, was ›Gemeinwohl‹ eigentlich meint – und zudem die Rolle der dem Staat aufgrund fehlender Steuereinnahmen immer weiter abhanden kommender eigener politischer Intelligenz einzunehmen, wodurch sie sich unabdingbar macht und bereits weit in die Kernbereiche staatlicher Souveränität vorgedrungen ist: Die Stiftung wird mehr und mehr selbst zum ›Staatsapparat‹ – ohne dabei jedoch demokratisch verfasst oder kontrolliert zu sein. Im Grunde kennt sie dabei nur ein einziges Rezept als Lösung aller gesellschaftlichen Probleme, und seien sie noch so komplex: die Gesellschaft soll wie ein Unternehmen geführt, der Staat mehr und mehr abgebaut werden.« 1
Wernickes Resümee: »Bleibt zu hoffen, dass diese Farce bald ein Ende findet – und Gesellschaft und Politik diese Stiftung als das begreifen, was sie einzig ist: Nicht etwa ›Lösungsgeber‹, sondern Teil des Problems.« Als die Neue Westfälische Wernicke im Mai 2007 erneut interviewte und seinen Vorwürfen eine halbe Seite Platz einräumte, sah sich die Stiftung zu einer Stellungnahme gezwungen. Der Vorwurf, die Stiftung agiere nicht gemeinnützig, sei falsch. »Die Bertelsmann Stiftung weist diese Vorwürfe entschieden zurück. Die Gemeinnützigkeit wurde vom Finanzamt anerkannt und wird laufend geprüft. Die Stiftung bewegt sich mit allen Projekten und Reforminitiativen selbstverständlich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen.« Eine Standardformel.
Im Oktober 2007 trafen sich 200 Kritiker auf einem Kongress mit dem Namen »Das Schattenkabinett aus Gütersloh« in Frankfurt. Organisiert von der Antiglobalisierungsbewegung Attac sowie der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ging es immer wieder um die Geschäfte von Arvato, die Dienste anbiete, dessen Bedarf die Stiftung vorbereite – etwa bei der Übernahme von Verwaltungsaufgaben. Der Journalist Eckart Spoo, ein ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Journalisten-Union, drückte es so aus: »Hier sollen Bürger zu Kunden werden.« Er kritisierte die Aktivitäten von Arvato, weil das Tochterunternehmen auch kommunale Aufgaben übernehme. Die Stiftung wolle vor allem Deregulieren, also den Staat und dessen Fürsorge aus dem Leben der Menschen drängen, damit die Wirtschaft, allen voran Bertelsmann, mehr Platz habe. Spoo forderte, der Stiftung die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Außerdem forderte er, dass die Hochschulpolitik die Zusammenarbeit mit dem CHE einstellen solle. Die am CHE mitwirkenden Hochschulrektoren sollten dienstrechtlich verfolgt werden. Horst Bethge, ein Lokalpolitiker von Die Linke, kritisierte die »Bertelsmannisierung der Schulen«. Die Stiftung fordere mehr Eigenverantwortung der Schulen und dann biete Arvato jene Dienstleistungen an, die Schulen einkaufen müssen.
Es wurden verschiedene Protestaktionen diskutiert. Der Soziologe Steffen Roski schlug vor, Buchclubs von Bertelsmann zu besetzen, um Öffentlichkeit zu schaffen. Die Anti-Bertelsmann-Aktivisten forderten Gewerkschaften und Verbände auf, die Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung einzustellen. Es folgten lokale Treffen und einmal kam es zu einer Demonstration auf dem Rathausplatz in Gütersloh, bei der die Sprecher der Stiftung, Karin Schlautmann und Andreas Henke, beobachtend abseits standen.
Die Kritik von Seiten der Gewerkschaften ist bemerkenswert, wenn man sich in
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