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Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)

Titel: Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schuler
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berief sich in ihrer Arbeit auf § 1 des Bundessozialhilfegesetzes: »Der Hilfeempfänger soll befähigt werden, unabhängig von der Hilfe zu leben.« Immerhin seien rund eine Million Sozialhilfeempfänger arbeitsfähig, ohne einer Arbeit nachzugehen. Sozialhilfe solle leistungsabhängig gezahlt werden. Schwerpunkt sei das Programm »Arbeit statt Sozialhilfe« für rund 6 000 arbeitslose Jugendliche und junge Erwachsene. Die Erfolge blieben letztlich unklar, nur eines wird offensichtlich: Die Bertelsmann Stiftung drängte auf Reformen und sie fand Mitstreiter, die ihre Arbeit legitimierten.
    Spindler sah weder Rechtssicherheit noch Transparenz und auch nicht Kontrolle gewährleistet. Mit anderen Worten: Das Sozialamt hat ein System entwickelt, das nicht rechtmäßig ist. Spindler sieht Geld für nutzlose Kontrollmaßnahmen aufgewendet, sogenannte Angebote, die Menschen ohne ausreichende Beratung in Situationen drängen, die ihnen nicht liegen und deshalb nicht von Dauer sind – nicht geeignet, ihnen Lebensunterhalt und menschenwürdige Perspektive zu bieten.
    Das Kölner Jobcenter wurde zum Vorbild für alle anderen Jobcenter. Dabei waren die Vermittlungserfolge bescheiden, sagt Spindler heute: Die rund 10 Prozent der Zwangsnutzer, die nach den Statistiken ohne Zuschüsse auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt wurden, hätte man auch ohne diesen Aufwand mit einer intensiveren Arbeitsvermittlung des Arbeitsamts erreichen können. 10 Spindler bilanzierte: Die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld blieben zwar scheinbar erhalten, aber sie sei nicht mehr das, was sie mal war. Die Obliegenheiten, Erwerbsverpflichtungen und die Verwaltung näherten sich der Sozialhilfe an. Der Bezieher der Versicherungsleistung verliere seine bisherige Rechtsposition, vor allem Berufs- und Entgeltschutz, und werde behandelt wie bisher der Sozialhilfeempfänger. Deshalb, so Spindler, sei die Reform ein begrifflicher Trick: Man erkläre die Sozialhilfe- und die Arbeitslosenhilfeempfänger zu Arbeitslosengeldempfängern, damit nicht so auffalle, dass sie alle Sozialhilfeempfänger geworden sind.

Lessons learned?
    Die Arbeitsrechtlerin Helga Spindler hat den gesamten Prozess der Hartz-Reformen hinsichtlich des Einflusses der Bertelsmann Stiftung analysiert und kommt zum Ergebnis: »Ohne die Vor-, Zwischen- und Mitarbeit der Bertelsmann Stiftung auf vielen Ebenen wären die Vorschläge der Hartz-Kommission und die folgenden gesetzgeberischen Aktivitäten fachlich und auch institutionell schon gar nicht umzusetzen gewesen.« Am Hartz-Beispiel zeige sich, dass es nicht nur ein Ideenwettbewerb, nicht nur fleißige Hintergrundarbeit war, »sondern in der Summe ein strategisch aktives Agieren und Vor-Auswählen unter handverlesenen Partnern und ideologischen Positionen und das, wie man so schön sagt, ›finanziell gut gepolstert‹.« 11
    Die Mitarbeiter der Stiftung kommen freilich zu einer ganz anderen Einschätzung. Frank Frick bezeichnet die Arbeit der Hartz-Kommission 2002 als »Reform-Lehrstück« und als »öffentlichkeitswirksame Inszenierung« eines Rucks, den Bundespräsident Herzog Jahre davor eingeleitet habe. Die Kommission habe die »geeigneten Personen« berufen: »Vollblutpolitiker saßen nicht in der Kommission – niemand hatte ein Interesse daran, kurz vor der Wahl unangenehme Maßnahmen zu vertagen und stattdessen Wahl- und Sonntagsreden in Berichtsform vorzulegen. Auch handelte es sich nicht um institutionelle Beteiligungen – die Kommissionsmitglieder bildeten zwar die wichtigen gesellschaftlichen Gruppen ab, waren aber als Personen berufen und erwehrten sich erfolgreich der Instrumentalisierung.« Frick lobt außerdem die »kluge Hintergrundarbeit: Während die Kommission tagte, analysierte und diskutierte, wurden hinter den Kulissen die Spielräume ausgelotet und die heiligen Kühe identifiziert! Heraus kam das erfolgversprechendste Reformpaket der deutschen Arbeitsmarktpolitik.« 12
     
    Am 24. Februar 2005 hielt Werner Eichhorst in Bonn einen Vortrag über die Planung, Erarbeitung und Umsetzung der Hartz-Reformen. Eichhorst war einer der drei Autoren von Benchmarking Deutschland und war mittlerweile von der Bertelsmann Stiftung zum Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gewechselt. Er sprach über »Wirkungsforschung und Politikberatung – eine Gratwanderung?« Auch in seinen Augen war die Hartz-Reform ein Erfolg. Er ließ die entscheidenden Schritte noch einmal Revue passieren: den Skandal in der

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