Berthold Beitz (German Edition)
sein.«
Beitz weist höflich darauf hin, dass »die Explosion einer solch großen Bombe eine Bedrohung der Bevölkerung der DDR , der Tschechoslowakei, Polens und anderer benachbarter Länder darstellen würde, die an sich selbst die Folgen radioaktiver Strahlung erleben würden.« Begütigend erwidert der Regierungschef: »Darum habe ich auch gesagt, daß wir keine 100-Megatonnen-Bombe abwerfen.« Er wolle bloß »die Unsinnigkeit der Politik zeigen, die die BRD gegenüber der DDR verfolgt«. Die USA und die Nato hielten Bonn von einer Verbesserung der Beziehungen zu Moskau ab, doch wer habe den Schaden? Die Bundesrepublik.
Als jüngstes Beispiel führt er das Röhrenembargo an. 1962 haben die westlichen Staaten unter Führung der USA beschlossen, den Export von Großröhren für den Bau von Öl- und Gaspipelines in den Ostblock zu untersagen. Der Warschauer Pakt dürfe seine Energie- und Treibstoffversorgung, die schließlich auch militärisch von großer Bedeutung sei, nicht mit westlicher High-Tech modernisieren. Eine Reihe von großen Ruhrkonzernen wie Mannesmann und Hoesch wird dadurch hart getroffen; Krupp stellt solche Röhren nicht her. Chruschtschow: »Sie sagten diese Lieferung ab, wir werden ihnen [den Deutschen; J. K.] keine Aufträge mehr geben. So kann es auch mit anderen Waren passieren. Das Ergebnis ist, daß der Bereich der Zusammenarbeit sich verkleinern wird.« Der Staats- und Parteichef beendet seine langen Ausführungen mit den Worten: »Durch Stärke werdet ihr uns nicht von unseren Positionen vertreiben. Wir sind kein Kind, dem man die Hose herunterziehen und es verhauen kann. Das Kind ist groß geworden und hat Kraft gesammelt. Es kann selbst einen derartigen Fußtritt geben, daß Ihr nicht mehr auf den Beinen stehen könnt.« Immerhin: »Wir wollen den Zweiten Weltkrieg zu Grabe tragen und unsere Beziehungen von Neuem beginnen.« Dafür aber müsse die Bundesrepublik »eine rechtskräftige Anerkennung« der Kriegsergebnisse leisten, eben der DDR und der polnischen Westgrenze.
Beitz kontert, indem er den Ball aufgreift und den Russen mit einem Vorschlag verblüfft. Wenn denn Frieden und Zusammenarbeit das Ziel der sowjetischen Politik seien, dann, so Beitz, »habe ich nicht verstanden, warum Sie nicht versuchen, den Weg der wenigen freundschaftlichen Gesten einzuschlagen, die Sie nichts kosten und die den Boden bereiten für die Verwirklichung von all dem, worüber Sie sprechen.« Er als Privatmann verstehe nicht, »warum meine Verwandten nicht aus der DDR hinauskönnen, um mich zu besuchen«, warum die DDR nicht großzügiger gegenüber den deutschen Familien sei, die durch die Grenze getrennt sind, warum Westdeutsche ihre Verwandten drüben nicht besuchen dürften. Außerdem lebten noch fast 9000 Deutsche in der UdSSR . »Warum schickt man sie nicht in ihr Vaterland? Das würde großen Eindruck machen, weit mehr als fünf außenpolitische Reden … Ich kenne die Deutschen, ich kenne ihre Gefühle, ihre Besonderheiten, angefangen von meinem Chauffeur bis hin zum Generaldirektor.« Sie alle, so Beitz, würden sagen: »Schaut, die Sowjetunion zeigt Bereitschaft, mit ihr kann man Verhandlungen führen.«
Es folgt eine lebhafte Debatte, in der Chruschtschow, von dieser Wendung des Themas überrascht, schlicht bestreitet, dass die erwähnten Deutschen in der Sowjetunion existierten. Das ist natürlich wenig glaubwürdig, da es in der UdSSR viele Deutsche gibt, etwa solche aus dem nördlichen Ostpreußen – das nun zur Sowjetunion gehört –, die nach 1945 aus unterschiedlichen Gründen nicht vertrieben wurden, oder Deutsche, die 1945 verhaftet und in die UdSSR verschleppt wurden. Das Schicksal der Hunderttausenden Russlanddeutschen, also der von Stalin häufig in die östlichen Landesteile deportierten Nachfahren früherer Einwanderer aus Deutschland, ist nicht Thema dieses Gesprächs. Beitz bleibt unbeirrt: »Warum wollen Sie, Herr Vorsitzender, ein Mensch mit solchen großzügigen Ansichten … Ihr Einverständnis zur Ausreise von Deutschen, die in der Sowjetunion leben, nicht geben?« Der Staatschef lehnt eine humanitäre Geste schließlich rundheraus ab: Er halte eine »Verbesserung des politischen Klimas« für nötig, aber »nicht auf dieser Grundlage«. Beitz bestätigt schließlich, dass auch er eine neue Offenheit gegenüber dem Osten fordert: »Bei manchen Menschen bei uns reichen zuweilen Vernunft und Mut nicht aus.«
Trotz der wenig diplomatischen Art des Kremlchefs versteht
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