Berthold Beitz (German Edition)
Außenminister Schröder verfasst ein Memorandum zugunsten des Osthandels, ganz im Sinne von Beitz’ Strategie, das Verhältnis zu Osteuropa auf dem einzigen Weg zu entspannen, der ohne diplomatische Beziehungen gangbar ist. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits viele Vertreter der Industrie von Adenauers Politik gegenüber dem Osten enttäuscht. Beitz selbst macht im Juni 1963, nur wenige Wochen nach dem Kremlbesuch, erneut Schlagzeilen. Auf der Posener Messe gibt er der ARD ein Fernsehinterview, in dem er eine »grundsätzliche Änderung der deutschen Osthandelspolitik« fordert und die Bundesregierung bezichtigt, auf die Schritte der Industrie in Osteuropa »ohne Enthusiasmus« zu reagieren. Dabei sei es diese doch, welche der Politik dort den Weg bahne.
Im Juli 1963 lädt Adenauer daraufhin die Spitzen der deutschen Industrie, darunter Beitz, zu »eingehenden Überlegungen über die Gestaltung unserer Osthandelspolitik« ins Bundeskanzleramt. Die Regierung wird durch den Kanzler selbst sowie die Minister Erhard (Wirtschaft), Schröder (Außen) und Dahlgrün (Finanzen) vertreten, die Wirtschaft unter anderem durch den BDI -Chef Berg, den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, sowie all die Pioniere des Osthandels: Beitz, Wolff von Amerongen und außerdem Ernst Wolf Mommsen von Phoenix Rheinrohr, alle drei vehemente Gegner des Röhrenembargos. Es wird eine kontroverse Aussprache, bei der Adenauer weiterhin auf Zurückhaltung setzt, während Schröder, unterstützt von den Wirtschaftsvertretern, für engere Handelsbeziehungen votiert. Von einem Durchbruch kann so keine Rede sein.
Schröder setzt nach Adenauers widerwilligem Rücktritt im Oktober 1963 gegenüber Osteuropa die Politik der kleinen Schritte und damit endlich die Gründung von wechselseitigen Handelsmissionen mit Polen, Rumänien, Ungarn und Bulgarien durch. Er steht bald auf freundschaftlichem Fuß mit Beitz, der dem Minister an warmen Kampener Sommerabenden auf der Terrasse seines Ferienhäuschens eines seiner berühmten Steaks grillt.
Im November 1964, als Konrad Adenauer – zwar schon ein Jahr im Ruhestand, aber immer noch einflussreich – Schröder wegen zu großer Nachgiebigkeit gegenüber Moskau scharf rüffelt, spricht Beitz dem zur Kur weilenden Außenminister durch einen für seine Verhältnisse geradezu epischen Brief von einer Textseite Länge Mut zu:
Die Art und Weise, in der Dr. Adenauer die Regierung und besonders Sie angreift, veranlaßt mich, Ihnen zu sagen, daß die Sympathien für Sie dadurch sehr gestiegen sind. Dieser alte Mann sollte endlich begreifen, daß er abtreten muß und daß es äußerst unfair ist, als ehemaliger Regierungs-Chef der jetzigen Regierung Knüppel zwischen die Beine zu werfen … Ich hoffe nur, daß Sie sich in Ihrer Politik durch solche Dinge nicht stören lassen werden. Sollten Sie aber den ganzen Kram satt haben und die ›Brocken hinschmeißen‹, was ich im Interesse der deutschen Politik für äußerst nachteilig hielte, stehe ich Ihnen jederzeit für ein Gespräch zur Verfügung.
Der Brief trägt, so scheint es, mehr zum Wohlbefinden des Außenministers bei als die warmen Bäder im Sanatorium; jedenfalls schreibt Schröder zurück: »Die Politik ist das härteste Gewerbe der Welt, die teuerste Leidenschaft, die es gibt. Deshalb darf man sich weder wundern noch beklagen. Es ist aber sehr gut und tröstlich zu wissen, daß es am Ende doch Freunde gibt, die auch in der Bedrängnis verläßlich bleiben.«
Zum Ausgleich für das wechselhafte Russland-Geschäft ist Krupp und damit Beitz in praktisch allen Staaten des Ostblocks aktiv. Selbst die Betonkommunisten in Bulgarien laden ihn zur Jagd ein und bekunden das Interesse an Krupp’schen Walzwerken zum Aufbau ihrer Industrie. Für die Satellitenstaaten Moskaus ist jeder Westkontakt auch ein kleines Stück Eigenständigkeit gegenüber dem Kreml. Es sind jedenfalls Otto Wolff von Amerongen und vor allem Beitz, die Außenminister Schröder beim Aufbau der osteuropäischen Handelsmissionen »Geburtshilfe« leisten, im Falle Ungarns sogar als Postbote für ein streng vertrauliches Petitum der Budapester Regierung nach Bonn. Was 1961 noch scheiterte, der Aufbau erster bilateraler Institutionen, wird nun doch Wirklichkeit. Und wie wichtig solche Schritte sind, zeigt sich gleich nach Chruschtschows Absetzung im Oktober 1964: KP -Chef Leonid Breschnew und Ministerpräsident Kossygin verhindern ein ähnliches Abkommen der Westdeutschen mit Prag.
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