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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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beitragen, daß die Welt reif wird, die Unterschiedlichkeit auszuhalten!« Das Tauwetter hat eingesetzt.
    Das ist der politische Hintergrund jenes Tages in Moskau, an dem eine Tschaika-Staatskarosse vor dem Hotel »Sowjetskaja« vorfährt. Der Wagen bringt Beitz zum Kreml, der alten Zarenfestung, an deren Haupttor die Wachposten grüßen und das Fahrzeug durchwinken. Niemand will Papiere sehen, niemand hält sie auf. Am Tor des gelben Palais steigt Beitz aus und wird von einem Offizier in Empfang genommen. Um drei Uhr nachmittags steht er in Chruschtschows Arbeitszimmer.
    Mehr als zwei Stunden sitzen sie sich nun an einem Tisch gegenüber, es gibt keine Unterbrechungen und keine Getränke. Nur der Dolmetscher ist dabei. Chruschtschow, im hellen Anzug mit weißer Krawatte, beginnt mit einer jovialen Frage: »Was haben Sie uns Gutes aus Bonn mitgebracht, Herr Beitz?« Der Deutsche hat vor seiner Reise ausführlich mit Außenminister Schröder gesprochen, der ihm als Botschaft mitgab, dass er »Entwicklungen im Handel mit den osteuropäischen Ländern begrüßen würde«. Beitz fügt hinzu: »Krupp und ich vertreten diesen Kurs schon lange.« Und, mit bemerkenswerter Offenheit: »Adenauer tritt ab, und mit dem neuen Kanzler wird sich höchstwahrscheinlich auch die Möglichkeit eröffnen, eine neue Etappe in unserem Verhältnis zu beginnen.«
    Der Sowjetherrscher legt seinem Gast nun ausführlich dar, dass die Bonner Ostpolitik aus seiner Sicht an Realitätsverlust leide: »Die Existenz zweier deutscher Staaten wurde zum vollendeten Faktum … Adenauer hoffte, daß die BRD , sobald sie sich in der Position des mächtigeren deutschen Staates befindet, die Sowjetunion zum Abzug und zum Verzicht auf die Schutzbefugnis über die DDR zwingen kann.« Beitz schränkt ein: »Adenauer hat genügend Verstand, um zu wissen, daß er dieses Ziel nicht allein durch das Einsetzen von Macht erreichen wird.« Manchmal, kontert Chruschtschow, »tun auch kluge Leute Dummheiten … Deshalb spreche ich über den völligen Mißerfolg einer Politik, die erklärtermaßen das Ziel verfolgt, die DDR aus der sozialistischen Gemeinschaft herauszureißen, sie als Staat zu liquidieren und eine kapitalistische Gemeinschaft zu bilden, die sich auf Macht und die Verbündeten stützt.«
    Sie sprechen eine Weile über die inneren Probleme der DDR . Chruschtschow behauptet sogar, vor der Mauer habe »der Westen die Möglichkeit« gehabt, »Menschen in die DDR zu schleusen, um ihre Wirtschaft zu stören« – ein reines Propagandaargument angesichts der moralischen Bankrotterklärung eines Regimes, das seine Staatsbürger einsperren muss.
    »Jetzt aber«, so Chruschtschows Reaktion, »ist dieser Prozeß gestoppt, und die DDR gewinnt an Stabilität … Pläne, die das Problem der Wiedervereinigung durch den Zusammenbruch der DDR zu entscheiden hofften, können jetzt zu Grabe getragen werden.« Das ist der entscheidende Punkt – die Botschaft an eine neue Generation in Bonn, an Erhard, Schröder und all jene, welche die Zeit nach dem greisen Adenauer gestalten werden. »Denn Adenauer«, so Chruschtschows Suada weiter, habe »weder die Möglichkeit noch die Zeit«, seine Politik »mit Abstand zu betrachten«. Und Beitz ergänzt: »… noch die Courage«. Es ist ein bemerkenswert offenes Gespräch.
    Auf die Erfahrungen des Krisenjahres 1961 anspielend, sagt Chruschtschow, dass auch die westlichen Verbündeten Bonns, also die USA , England und Frankreich, »keine Wiedervereinigung wollen«, in Paris habe ihm Präsident Charles de Gaulle selbst gesagt: »›Laßt uns die Verhältnisse in Deutschland nicht anrühren. Möge die DDR im sozialistischen Lager bleiben, und die BRD – bei uns.‹ … Er fürchtet Deutschland.«
    Dann wieder fragt er den Gast in einer Mischung aus Zorn und Drohung, wozu die Westdeutschen aufrüsteten und die Bundeswehr ihre zwölf Divisionen aufstelle. »Wenn der Dritte Weltkrieg ausbricht und es nukleare Waffen gibt, welche Bedeutung wird dann noch die Zahl der vorhandenen Divisionen in der BRD haben? Es genügen doch zehn Atombomben, um ganz Deutschland aus den Angeln zu heben. Und wenn es 100-Megatonnen-Bomben sind, dann genügt eine. Seien Sie nicht beunruhigt, wir werfen keine solche Bombe auf Deutschland, weil es in diesem Fall schwer wäre, die Sicherheit unserer Truppen zu gewährleisten. Diese Bomben müssen in weitem Abstand geworfen werden. Aber die 50-Megatonnen-Bombe wird für Deutschland vollkommen ausreichend

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